Sabine Hassinger - Bachmann Bimbamtag 1

Die Taten und Laute des Tages

Man merkt diesem Text an, dass seine Autorin durch einen [Brot?]Beruf geerdet ist. Die Erfahrung als Musiktherapeutin sind der rote Faden, der einem als Leserin hilft, sich durch die zahllosen Fäden, die aus dem Text hängen von Textpassage zu Textpassage zu hangeln. So wie einst Tarzan und Jane an den Lianen durch den Dschungel schwangen. Dabei die atonale, bisweilen Furcht einflößenden Laute des Urwalds im Ohr.

So ist auch dieser Text. Er ist ein postmodernes Stück, bei dem man zunächst nicht weiß, welche Personen mitspielen. Obwohl die Autorin, Sabine Hassinger, zu Beginn, noch bevor das Dschungelbuch losgeht, ihren Leser[innen] eine Handlungsanweisung, eine Art Gebrauchsanweisung mitgibt:

Die Besetzung:
Eine Verwunschene istgleich die Dame
Eine Berta istgleich die Erste Person
Ein Ich istgleich die Erste Person
Eine Sie istgleich approximativ die Mutter
Ein Er istgleich approximativ der Vater
Ein Geschehen istgleich das Gegebene
Ein Irrtum istgleich die Sucht, verstehen zu müssen
Ein Empfangen verlangt das Bewusstsein zu hören


Er ist schwer zu lesen. Dieser Text. Endlos lange Sätze und Textpassagen baut Hassinger denen, die das lesen. Dazu Dialoge, die als solche nicht abgesetzt, sondern im Textblock ohne spezielle Dialog-Kennzeichnung, also etwa Anführungszeichen oder Absatz und neuer Zeilenbeginn, mitlaufen.
Als Leser[in] fragt man sich gleich zu Beginn des Lesens: Gibt es überhaupt mehrere Personen in diesem Stück? Kommen in der Realität der Geschichte überhaupt mehrere Personen vor? ODER existieren all diese Figuren nur im Kopf einer einzigen, einer – sogenannten multiplen – Perso[e]n[lichkeit]!?

Der Ausnahmezustand füllt jetzt alles aus, das Glück ihn einmal noch zu sehen ist unermesslich. Da du nicht weißt, ob er dich hier gerne in seiner Nähe sage ich mir besorgt, da er doch zuvor dich gar nicht mehr in seiner Nähe haben wollte, berührst du, also ich, als Einzige ihn nicht zum Abschied am Arm, kommst irgendwie an das Ausnahmegefühl Hochwasser, ungeschützt überall Erregung, habe mich heimlich sehr glücklich gefreut wenn Hochwasserwarnungen aus einem Wagen mit Lautsprecher Achtung Achtung immer dramatischer der Pegelstand, toll wie soll das Wasser nicht aufhören zu steigen durch die traumhafte Nacht Achtung ich sehnte mich nach einer Katastrophe oh Abschied oh was bist du Abschied, wenn du ohne Spur von Liebe und Trauer,
die Leichenschau kippt in einfaches Glück. Wir können ihn sehen, endlich. Der Atem fehlt wie im Traum. Der Hochdruck steigt in den Tod.


Das ist die Textpassage, die mich zugleich ganz stark an die Cut-up-Technik von Bryon Gysin und William S. Burroughs erinnert. Es gibt noch weitere Passagen dieser Art im Text, wie jene da:

ich war noch nie in meinem Leben so glücklich wie jetzt, das Wichtigste im Leben ist die Liebe, meine Liebe zu den Katzen ist unermesslich sagt sie so butterfly im Traum taten sich ihre ihr entzogene Tochter und ihre sich durch Selbsttötung entziehende Mutter zusammen, sie möchte nicht über diesen Traum sprechen aber sie erwähnt ihn einfach gelegentlich, wir erreichen die Bushaltestelle wo wir uns trennen, sie überquert die Straße und möchte mir vom anderen Ufer die herrlichsten Obszönitäten laut zurufen, die Verwunschene ruft oft Mama wenn ihr etwas beschwerlich erscheint und sie versichert Berta, dass sie nun häufiger zu ihrer Mutter spricht sie solle sich da raushalten wenn sie etwas tun möchte,

Die Juroren bringen es schließlich auf den Punkt:
Winkels mag den Text nicht, weil er „nicht rätseln“ will, der Text ist ihm zu viel „Scrabble“ (ein Buchstabenspiel, das Hassinger in den Text auch einflechtet).
Keller sieht einen „avantgardistischen Text“
Strigl weist darauf hin, dass man dem Reflex „ich hab was gegen komplizierte Texte“ nicht so einfach nachgeben dürfe, dies sei ein solcher Text, den man öfters lesen müsse, um ihm auf die Spur zu kommen, es gäbe allerdings eine Helferin im Text, eine, die dem Leser hilft
[Ach, denke ich mir, wo denn? Die hab` ich nicht gesehen! Erst beim zweiten Lesen… tatsächlich da… auf Seite 5 oben im Text entdecke ich sie auf einmal auch, wenn es da heißt „sie überquert die Straße und möchte mir vom anderen Ufer die herrlichsten Obszönitäten laut zurufen, die Verwunschene ruft oft Mama wenn ihr etwas beschwerlich erscheint und sie versichert Berta, dass sie nun häufiger zu ihrer Mutter spricht sie solle sich da raushalten wenn sie etwas tun möchte, etwas Alltägliches das man einfach tun möchte wie Unrat aufheben oder aus eigenem Impuls die Wohnung verlassen“].

Für Strigl ist der Text von Hassinger daher eine „feine Textliteratur“, gar wie „eine Partitur, die für das Sich-selbst-Vorlesen gedacht“ sei. Hassinger habe eine Art „Totenbuch, eine Krankengeschichte“ geschrieben, in der es auch „um Würde gehe“: „Die Verwunschene ist die Verrückte und sie wird würdevoll gesehen.“

Feßmann wiederum sieht, dass dieser „Text simpler ist als wir denken“. Es geht hier um eine Mutter, die seit Jahren sterben will und eine Tochter, die davon genervt ist; und einen Vater, der vor kurzem verstarb und zeitlebens nichts von seiner Tochter wissen wollte. Die Tochter wolle sich lieber mit dem toten Vater beschäftigen, ihn liebevoll „in ihre Schächtelchen verpacken“, wodurch sie ihm nahe ist. Eine Nähe, die ihr zu Lebzeiten nie vergönnt war. Das ständige Gerede der Mutter im Hintergrund, das auf die Tochter einströmt, nerve die Tochter. [nun ja, dieses „Einströmen der Worte der Mutter aus dem Hintergrund“ würde meinen Eindruck von der Cut-Up-Technik erklären! Wenn man die Geschichte so derart liest]

Caduff, die neue Jurorin, spricht mir aus der Seele, als sie resumiert: "Ein Text, der wichtig ist für den Klagenfurter Bachmann-Wettbewerb". Für den Leser sei er jedoch „ein extrem schwieriger Text“, mit dem man sich beschäftigen müsse. Allerdings wirft sie die Frage auf: „Wie zeitgemäß ist solches Schreiben? Stichwort: Zeitmanagement“. Es sei zu überlegen, ob dieser Text das heutige Zeitmanagement angreife oder „ob ein solcher Text gerade deswegen zum Opfer wird, weil man eigentlich keine Zeit mehr hat, sich als Leser damit zu beschäftigen“, weil die Auseinandersetzung damit eben Zeit braucht.
Darauf entgegnet ein genervter Jandl: „Wir sind hier nicht bei McKinsey, sondern in Klagenfurt!“ Für ihn ist dieser Text ein „poetischer Text, bei dem man nicht alles verstehen muss. Der Text handelt nicht nur von einer Verwunschenen, sondern er ist verwunschen!“ Eine Stereophonie mit einem ironisch formulierten „istgleich“ fände nicht statt. Der Text werde zum „ästhetischen Spiel“. Man sehe mal das und mal jenes. Daher eigentlich „ein Text wie ein Rohrschachtest“.
Spinnen schließlich fasst zusammen: „Kein leicht verdaulicher, kein konsumierbarer Text. Jeder literarische Text ist anstrengend!“

Tja…. ich bin gespannt… auf das… was morgen kommt…. und bei welchem Preis dieser Text am Ende herauskommt!?

Für mich steht eigentlich [m]ein [vorläufiges] Urteil fest!
Ob dies mit meiner immer stärker sich ausprägenden Vorliebe für postmoderne und/oder experimentelle Texte und für [W]Ortspiel- und Sprachschöpfungen zusammenhängt? Wer weiß!?
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