BIENN-[arte]-ALE [contemporanea] 2013

Biennale-2013-Bahrain

Wer in Venetien auf den Spuren der Renaissance-Künstler wandelt, für den ist es natürlich ein „must have seen“ wenigstens an einem Tag einen Abstecher zur Biennale nach Venedig zu unternehmen, wenn dort, wie in diesem Jahr[noch bis 24. November], gerade die Kunst-Biennale läuft. Auch wenn ein Tagesausflug viel zu kurz, um im Arsenale [einem der beiden Haupt-Ausstellungsorte] durchzukommen. Indes, einen kleinen Eindruck gewinnt eine[r] doch…

Südafrikanisches Buchhirn

Insofern traf ich bereits im Vorfeld eine Auswahl und konzentrierte mich bei meinem Besuch auf die Pavillons folgender Länder: Argentinien, Vereinigte Arabische Emirate, Südafrika, Lateinamerika, Indonesien, Bahrain, Libanon, Kosovo, Chile.
Wer einen Blick auf den Ausstellungsplan dieser Biennale wirft, dem fällt auf, dass ich das „Pferd“ von hinten her aufzäumte und meine Route in der Reihenfolge der Künstler* oder der Kunstobjekte*, die ich unbedingt sehen wollte, festlegte.

Anden Curry Berge im iila

Total begeistert hat mich die Gruppenausstellung der lateinamerikanischen Künstler! Sie teilen sich unter dem Dach des Istituto Italo-Latino Americano, kurz iila, eine der riesigen, alten Hallen, in denen einstmals die Serenissima-Flotte gebaut worden war. Ein beeindruckender Ort, um zwischen rostigen Verstrebungen und unter altem Holzgebälk den Blick in eine Favela, eine jener Blechhütten, die es in den Megastädten des südamerikanischen Kontinents zuhauf gibt, zu erhaschen. Dort, wo nur ein paar Blechtöpfe und alte aufeinander gestapelte Matratzen in einem größeren Viehstall seinen Bewohnern als wohnliches Mobiliar dienen, darf eines dennoch nicht fehlen: der bequeme Fernsehstuhl, der unter einem überdimensionalen Fernseher über allem schwebt; in einer Welt, in der neben den Telenovelas Alkoholika wie Bier, Wein und Schnaps das Leben bestimmen.

Eindrücklich auch die Kulturkritik eines anderen Künstlers, der in einem wenige Minuten dauernden Trickfilm die Kälte und das Desinteresse der modernen Welt karikiert, die den einzelnen wie einen Virus befällt. Er saugt dem Menschen den letzten Blutstropfen aus, wogegen alle Verbände dieser Welt nichts auszurichten vermögen. Selbst wenn er sich von Kopf bis Fuß vollständig in einen sich von der Welt abriegelnden hermetischen Verband einwickelte.

Da hilft dann nur noch eins:
Die Flucht in die Bergwelt der Anden, wo einer – wenn sie in den Höhenrausch der dünnen Luftmassen gerät – die Geister der spanischen Eroberer begegnen, die eine, achte sie nicht auf den Weg, in die Irre und immer weiter hinein in die Gebirgswelt mit ihren Sagengestalten treiben. Ein kurzer Naturfilm mit atemberaubenden Panoramablicken in und über die Andenwelt, in der in kurzen fiktionalen Spielszenen Conquistadores mit ihrer Entourage auftreten.

Inmitten der vielen Film-Animationen, die hier an den Wänden ringsum gezeigt werden, türmt sich auf dem Steinboden ein Meer bunter Sandhügel, die quasi stellvertretend für das Andenmassiv stehen könnten, erinnerten sie einen nicht eher an die bunten Gewürzmischungen asiatischer Länder. Zumal einem der Geruch von intensivem Curry-Gewürz, der offensichtlich aus dem Dunkel dieses Raumes künstlich eingeblasen wird, immer wieder in die Nase steigt und die Sinne vernebelt. Wer da den ganzen Tag schon nichts gegessen hat, wird spätestens dann hungrig, wenn er direkt daneben das Relief aus Zehntausenden von weißen Reiskörnern entdeckt. Selbige vom Boden aufzulesen, ist dringend abzuraten, da sie von einer geheimnisvollen chemischen Formel, deren Emblem das Relief bildet, verhext zu sein scheinen.

Immerhin… wer Glück hat, könnte in der obersten rechten Ecke der Halle seine knurrenden Gedärme dadurch beruhigen, dass er dort aus einer Plastikbonbonniere einen Kaugummi stibitzte… einen dicken Bubblegum, mit dem sich riesengroße Blasen pusten lassen, bearbeitete man ihn mit seinen Kauwerkzeugen wie einst in Kindestagen. Allerdings rate ich Ihnen auch hier zur Vorsicht! Zumal, wenn Sie den Kaugummi, wie vom Künstler angeraten, nach ihrer Besichtigungsrunde durch diese beeindruckende Kunst-Lagerhalle, an die Leinwand seiner Videoinstallation kleben. Auf der quasseln gleichzeitig sichtbar zwei Männer und zwei Frauen pausenlos im Chor auf Sie ein. In spanischer Sprache natürlich. Der sich ständig monoton wiederholende Satz nervt dann doch und stört, wenn man nebendran in Ruhe noch eine andere Trickfilmanimation betrachten möchte. So dass man denen wirklich am liebsten mit dem feuchten Kaugummi den Mund stopfen wollte. Doch – wie gesagt – Obacht! Sie hinterlassen mit der Spucke auf diesem Kaugummi ihre DNA und damit ihre Identität bei dieser Biennale!

Und wer weiß, was in grauer Zukunft damit angestellt werden könnte!?!?!? Schließlich lässt der Personenkult um Evita Péron, der in diesem Jahr in der Halle davor auf einer riesigen Ausstellungsfläche [von argentinischen Künstlern immer noch!] betrieben wird, nichts Gutes ahnen…
Es sei denn man betrachtet das, was dort zu sehen als das, was es für manchen Besucher auch ist - Kitsch as Kitsch can: den von zwei grellen Scheinwerfern gleißend beleuchteten riesig aufgeschütteten Eisberg, über dem aus nicht sichtbaren Lautsprechern pausenlos das Geräusch prasselnder Regentropfen zu hören ist. Angeblich wurde der Leichnam der Péron nach ihrem Tod zwei Wochen lang mit Eiswürfel gekühlt, damit die zwei Millionen Menschen, die zum Kondolieren anstanden, ihr die letzte Ehre erweisen konnten. An der Legendenbildung arbeitet der Künstler hier kräftig mit, wenn durch weite Teile dieser Halle das permanente Geräusch prasselnden Regens zu hören ist, der angeblich damals die Kondolenzdauer begleitete. Nicht zu vergessen das nebendran befindliche Schlafzimmer, bei dem ihr Stahlkorsett ausgestellt ist. Doch bevor man dahinkommt, muss man erst an einer zweimal sechs Meter langen Leinwand vorbei. Auf der wird in Stummfilmadaption eine Pér[s]on sich vor dem Spiegel hin und her wendend und einen langen schmalen Gang zum Sofa hin laufend gezeigt, auf dem sie sich mal nach links mal nach rechts mit einander überschlagenen Beinen dreht.

In welch simpler und doch eindrücklicher Gestalt präsentiert sich dagegen der Pavillon des Kosovo, in den ich eher im Vorübergehen hineingeriet. Auf meinem Weg vom sehr traditionellen, einen zwischen Stocktheater, Ziegelarmee und Mönchsgebetsbüchern dennoch faszinierenden indonesischen Pavillon zu dem von Chile.

Eigentlich wollte ich nur einen kurzen Blick in diesen Kosovo-Paviglione werfen, blieb dann allerdings, weil mich der Umgang mit den unterschiedlichen Darstellungen von „Körperlichkeit“ so sehr in seinen Bann zog, dass ich mich auf die lange dunkle Bank in der Mitte des Raumes setzte und die überdimensionalen Video-Beiträge betrachtete: den nackten Oberkörper eines posenden Bodybuilders, der kräftig seine Muskeln spielen ließ, selbst an Stellen, an denen eine glaubt, dass ein Männerkörper gar keine Muskeln haben könne;
die akribische Arbeit einer Tätowiernadel, die ein martialisches Muster in die Haut eines nicht sichtbaren Menschen brannte und bei jedem Einstich rote Flüssigkeit hervor quellen ließ, so dass eine Betrachterin nicht unterscheiden kann, ob es sich um die rote Farbe oder tatsächlich aus der Haut hervortretendes Bluts handelt. Schließlich das kunstvolle Binden einer asiatischen jungen Frau – zuerst in eine total verwinkelte, Kopfunter gebeugte Haltung, mit im Schneidersitz verdrehten Beinen, die im rechten Winkel zum Oberkörper der jungen Frau gebunden und bei der selbst die Fußsohlen in Richtung des Betrachters verdrehend kunstvoll mit dem Strick fixiert waren. Bevor der schwarz gekleidete Bondage-Meister seine weibliche Strickkunst in einer Art Segel-Tackelage auflöste. Faszinierend dabei zuzuschauen… allerdings kostete es mich dann das chilenische Spektakel des nebenan im Schlick versinkenden Modells von Venedig.

Allerdings, liebe Leser-Kommentator-inn-en, war mir später der spektakuläre Sonnenuntergang über der Lagune von Venedig, der Il Redentore, die Giudecca und Dorsoduro vor einem rot glühenden Abendhimmel aufleuchten ließ, tausendmal lieber!

:-)

Il Redentore im Sonnenuntergang

*P.S.
Namen der Künstler- und/oder Kunstobjekte liefere ich bei Gelegenheit nach...
3953 mal gelesen
Robert (Gast) - 18. Sep, 21:05

Sie erwähnen in keinem Wort die letzten Venezianer von Pawel Althamer.

Teresa HzW - 24. Sep, 10:55

Da haben Sie den Text ja sehr aufmerksam gelesen, lieber Robert ;-)) - ja, ich wollte mich bei der Biennale auf die Kunst abseits des Mainstream konzentrieren und darum in meinem Blogartikel Pavillons bzw. Künstler-Objekte in den Mittelpunkt rücken, über die man sonst nichts zu lesen findet! Das Schöne an solchen Ausstellungen sind doch immer die kleinen, scheinbar unbedeutenden Dinge, die man wie seltene Blumen am Wegesrand entdeckt! :-)
Bubi40 - 9. Okt, 10:13

eine verblüffende wendung !!!
erst die (mehr oder weniger ... ;-) ...) kunst, und dann ...
wunderbar ... eins drauf mit mappe ...

Teresa HzW - 11. Okt, 08:53

Ahhh, wie habe ich sie vermisst, diese kleinen, liebevollen Mappen[Nacken]schläge, lieber Josef, da wird mein steifer Nacken doch gleich wieder kraftvoll durchblutet und das Hirn kommt in Schwung für neue Schreib[Schand]Taten ;-)))

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