Interzone Eclat
[R[rrrrrrrrrrrrrr]iiiiiiiiiieeeeeeeeed]
[miiii:]
[Riiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiieeeeeeeettt]
[-ttt-tt-tt-tt-tt-tt-tt-tt-tt-t-t-t-t-t-dddddd]
[ma-ma—ma-ma—ma-ma—ma-ma—ma-ma-]
[mmmmmmmmiiiiiiiiijiijjjiiijjiiiiiiijjjjjiiiiiii]
[Riiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiijiiiiiiiiiiiiijiiiiiiiiiiijiiiiiiiiiiiiiiiiid]
[miiiiiii:]
Read me!
Ein Paukenschlag setzt der Sopranarie ein Ende!
Herrenunterwäsche!
it takes
Melkfett!
some time
Biiiiiiiiiijjjjjjjiiiiijjjjjjiiiiiiiiiijjjjjjjjjeeeeennnäääääääännnnn-
to realize
-LLLLL-ääääääääääääjjeeeeeeeeeeeee[h-h-h-h-h-h]rrrre!
you may
Wechselhemd!
or may not
Vorrrrruuuuhhhheeeeeestand!
close
Augen
eyes
Aber
but there is
Agenten
no way
unsichtbar
back!
Man kann seine Augen schließen.
Doch es gibt kein Zurück!
Eingequetscht in den engen Stuhlreihen.
Mittig sitzend.
Der Summton des Synthesizers rollt heran.
Nimmt eine[n] mit.
Hinaus aufs Flugfeld.
Der Summton wird lauter.
Fasten seat belt!
Man hebt ab.
Draußen sausen die Straßen vorbei.
Die Räder werden eingeklappt.
Alles wird weiß.
Es geht hinauf in die Wolken.
I N T E R Z O N E
So nennt sich das Ziel.
Im Gepäck:
William S. Burroughs Roman:
Interzone.
Zugleich - ein anderer Name für „Tanger“ – der Ort, an dem Burroughs, Ginsberg und andere Beat-Poeten einst einige Zeit ihres ruhelosen Lebens verbrachten.
Zwischen 1926 und 1956 ein internationalisiertes, selbstverwaltetes Territorium, geschaffen für den freien Handel und offen für den freien Verkehr, nicht nur zwischen Güter und Waren, sondern auch für Dienstleistungen aller Art. Ein Schmelztiegel, in dem sich Schmuggler und Kiffer, Beatniks und Bonzen, alternde Diven und zarte Boys, reiche Erbinnen und schwere Jungs die Zeit vertrieben.
Interzone wurde zum Refugium von Burroughs und zu dem Ort, an dem er zum Schriftsteller wurde und andere Outlaws, Aussteiger aus der damaligen Gesellschaft nachzog. Sie alle flüchteten sich in die „internationale Zone von Tanger“, in die Interzone, wie die Ureinwohner, die Tangerinos, die Gegend bald tauften.
In der Glut der marokkanischen Sonne testete der Underdog sein bewusstseinserweiterndes Leben und lernte, unsichtbar zu werden.
„Life is rotten here, Bill. Rotten. It`s the end of the world, Tangiers. Don`t you feel it, Bill? You`ve got to have some ideal, something to hang onto – where do you live, Bill?“ – schreibt Burroughs am 1. März 1954, in Tanger selbst an sich.**
Seine Briefe aus dieser Zeit [leider nur in englisch erhältlich] zählen zu den aufregendsten Beschreibungen dieser damaligen Zeit, aus der die Beat-Generation hervorging:
„Some nights ago I got hold of some ampoules, each containing 1/6 grain of dolophine and 1/100 grain of hyoscine. Now 1/100 gr. of that awful shit is already a lot, but I thought the dolophine would offset it and shot 6 ampoules in the main line.
The ex-Captain found me sitting stark naked in the hall on the toilet seat (which I had wrenched from its moorings), playing in a bucket of water and singing "Deep in the heart of Texas", at the same time complaining, in clearly enunciated tones, of the high cost of living – „It all goes into razor blades.“ And I attempted to go out in the street naked at 2 A.M. – What a horrible nightmare if I had succeeded and came to myself wandering around the Native Quarter naked.“
(Sept. 21, 1955, Tanger)**
William S. Burroughs Notate und Briefe – gerade aus der Zeit in Tanger – scheinen mir das Fundament der Beatniks zu sein. Hier, in der Interzone, konnten sie sich ausprobieren, an die Grenzen ihres Daseins gehen ohne den Konsequenzen einer prüden und sich selbst beschränkenden Gesellschaft ausgeliefert zu sein. Sie waren nur sich selbst ausgeliefert, in ihrem sich selbst überlassenen Sein.
An die Grenzen gehen....
...dessen, was Sprache mit einem macht, wenn sie nicht nur gesprochen, sondern auch gesungen...
... an die Grenze dessen gehen, was eine Stimme macht: mit einem selbst, ihrem Sänger, ihrer Sängerin wie auch mit den Zuhörern.
Das konnten diejenigen miterleben, beinahe körperlich erfahren, die am gestrigen Abend zum Eröffnungskonzert des Festivals der Neuen Musik, dem ECLAT-Festival 2014, ins Stuttgarter Theaterhaus, zum Interzone-Konzert, dem ersten Konzert des viertägigen Festivals, gekommen waren.
Im freien Stimmenverkehr bewegten beide Seiten sich:
Jene, die zum Zuhören, Zuschauen und [mit] Zu erleben reglos da saßen und nach vorne auf die Bühne starrten. Sich vom Spiel mit Sprache und Text, dargeboten von den Neue Vocalsolisten Stuttgart, verzaubern oder nolens volens gefangen nehmen ließen. Teilweise bis an die Schmerzgrenze des Erträglichen, wenn Daniel Gloger (2.v.re), der Countertenor minutenlang in höchstem Obertongesang verweilte. Was – um Ihre Vorstellungskraft, liebe Leser:innen, zu befeuern – manchmal wie orgiastischer Eunuchengesang klang.
Das sei nun nicht abwertend gemeint, sondern zollt meiner großen Bewunderung Respekt für die gesangliche Bandbreite der Stimme dieses Countertenors. Unglaublich, was dieser Sänger aus seiner Stimme herauszuholen imstande ist!
Große Klasse auch, was Omar Ebrahim, der Bariton (oben im Bild durch den Dirigenten scheinend) mit seiner Stimme zauberte. Modulationen über wenigstens drei Oktaven hinweg: Kreischend, zischend, lispelnd, schreiend, tönend, singend, keifend, klagend, zitternd, flüsternd, wispernd, brüllend, brummend – in einem fulminanten Höhepunkt gipfelnd, Burroughs halluzinogene Texte, die von einem Marcel Beyer librettiert, sprechend:
I never die in a fucking hospital.
Let me die in a lush bistro, my knife in a dye.
My head in split and blood and blair
Let me die in an Indian hat
Not in a hospital
Not in a bed!
Währenddessen wandert der Blick des Mitreisenden im dunklen Theatersaal von einer Leinwand zur anderen. Anne Quirynen hat eine Installation mit zwölf Leinwänden geschaffen, die über dem Publikum kreisförmig angeordnet ist. Sie nimmt damit Bezug auf eine der ältesten Erfindungen, um mit mechanischen Mitteln bewegte Bilder zu erzeugen: die sog. Wundertrommel. Heute besser bekannt unter ihrem Fachbegriff Zoetrop. Doch während bei diesem ältesten Heimkino das Auge unbewegt auf ein bewegtes Bild schaut, ist man als Zuschauer[in] im Theaterhaus gezwungen seinen Blick von Leinwand zu Leinwand wandern zu lassen. Teilweise in der Spur der vorgegebenen Kamerafahrt oder als Draufsicht auf triste Industriegebiete, staubige Straßen, Hochhäuser.
Die Augen wandern mit auf dem Serpentinenweg ins mehrstöckige Parkhaus, treffen auf Viertel, in denen sich Marokkaner, jung und alt, Männer und Frauen treffen bis man an einem Miefquirl, der hoch droben in einem der Bürogebäude hängt und unentwegt läuft hängenbleibt. Irgendwie ist es einem zu warm geworden: Sei es von der eingepferchten Enge des stillen Sitzens, sei es vom eigenen Gemüt, das durch das Zuschauen, Zuhören und Mitreisen an die vielen Orte des sinnlichen Erlebens von einer heißen Saharabrise, die von der Bühne herüber weht, mit erfasst wird.
Da mag Enno Poppe, Dirigent und Leiter dieses Eröffnungskonzerts, noch so hin- und her wedeln mit den Händen, sie fächeln einem keine kühle Luft zu.
Im Gegenteil! Es macht einen selbst noch atemloser, wenn man diesem Energiebündel eines Dirigenten zuschaut: Wie er taktgenau den einzelnen Vocalsolisten ihre Einsätze gibt, wie er das vielfältige Instrumental-Ensemble, das zu recht den Orchester-Namen Mosaik trägt, hinein und hindurch führt: durch die Abenteuer, die diese Burroughs`sche Interzonen-Reise auch für die Musiker:innen bereit hält.
"Fasten seat belt!" - sollte es bisweilen durch einen Lautsprecher heißen!
Alle um mich herum sind hin und weg!
Vom musikalischen Spiel - sofern man das bei den experimentellen Klängen, die die Klarinettisten, Flötistin, Saxophonisten und eine Bandoneon-Spielerin aus ihren Instrumenten herausholen - so nennen darf: Musikalisch!?
Zumindest sind alle miteinander ganz große Virtuosen ihrer Instrumente. Ich bin vor allem berauscht oder lasse mich in diesen eineinhalb Stunden, die das Konzert dann doch dauert, berauschen von der Klangkunst der Kontrabassklarinettistin Andrea Nagy, die aus ihrem Instrument gaukelnde Töne des Orients wie auch kulturquietschbunte und tief zufrieden brummende Klänge heraus zaubert. Die Anstrengung und der Körpereinsatz, den dieses Instrument einem abverlangt, ist ihr bisweilen anzusehen, wie auch ihren Kollegen, den Herren Klarinettisten Christian Vogel und Matthias Badczong, die ebenfalls virtuos drei bis vier Oktaven hinauf und hinunter spielen. Besonders fasziniert hat mich der Schlangen beschwörende Teil ihres instrumentalen Spiels, als die Finger des einen Klarinettisten minutenlang an seiner Klarinette in Windeseile hinauf- und hinunterflogen.
Das Herz des Instrumentalensembles waren für mich die beiden Keyborder, Ernst Surberg und Christoph Grund, die teils mit Retro-Elektronik die klangliche Aura einer „Interzone-Zeit“ schufen. Schließlich noch die beiden Schlagzeuger, Roland Neffe und Adam Weisman, die monumental über allem thronten. Sie ließen mit ihrem Trommelwirbel und ihren Paukenschlägen, die teilweise durch Tonabnehmer und Drumcomputer verstärkt, keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Abend auch eine Reminiszenz an die Beat-Generation war. Deren ge-alterte Anhänger mir an diesem Abend, an diesem Ort, in der Überzahl schienen. Die Generation 2.0 suchte ich dagegen beinahe wie die Nadel im Heuhaufen.
„I am about ready to leave Tanger“ , schreibt Burroughs im Oktober 1957, in Tanger, „I feel myself not the same person.“
Hand aufs Herz, liebe Leser-Kommentator:innen, ich bin es auch nicht! Ich mag diese Interzone da im Theaterhaus am gestrigen Abend auch noch lange nicht verlassen...
......und mir scheint:
Dies ist ein Eindruck, den nicht nur ich spätnachts aus diesem Konzert der Neuen Musik mit nachhause nehme, ein Konzert das mehr wie eine „Art-Covention“ war, zu der früher die Beatniks sich trafen.
Für mich: Ein gelungener Auftakt des ECLAT-Festivals 2014 - ein Brückenschlag zurück und doch nach vorn und zugleich in Reminiszenz des Hundertjährigen Geburtstages von Burroughs. Ein schöneres Geburtstagsständchen könnte er sich wohl kaum gewünscht haben.
**
Zitate aus Oliver Harris, William S. Burroughs Letters 1945 – 1959, erschienen bei Penguin Modern Classics Books
Teresa HzW - 7. Feb, 15:02 - Rubrik [Post]Moderne
Bo Bo Borroughs
no no video
Ich erntete schon ein paar böse Blicke, weil ich mich erdreistete, während des Konzerts, o.g. Snapshots zu machen - allerdings rücksichtnehmend: ohne Blitz! Mit meiner kleinen Canon G10. Mit der hätte ich zwar Video-Aufnahmen machen können, aber im Saal war es so dunkel, das wär nichts geworden.
Handys waren nicht erlaubt!
Mal sehn... vielleicht klappt`s mit dem Video beim sechsstündigen Abschlusskonzert am Sonntag - wenn Bourroughs "Nachkommen", die [Ur]Enkel:innen, ans Werk gehen! ;-))