Klagelied zum Fremdschämen

Eigentlich wollte ich keine [politischen] Widerworte mehr schreiben, liebe Leser-Kommentator-inn-en, allerdings zwingen einen die deutschen Verhältnisse regelrecht dazu. Zumindest als politisch interessierter Mensch und als ein[e] Bürger[in] ohne Parteibuch - dafür mit [Schreib]Blo[ck].

Aus dem Ausland betrachtet, dreht sich mir beinah täglich der Magen um, wenn ich – sofern es die technische Verbindung zulässt – meinen morgendlichen Rundgang durch den deutschen Blätterwald unternehme; der ist natürlich nicht so tiefschürfend wie in der Heimat.
Doch selbst bei nur oberflächlicher Wahrnehmung dessen, was sich da z´haus abspielt, kommt eine[r] aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus.

Mein Klaglied ist beinah` der Verzweiflung geschuldet, weil es absurder nicht mehr geht: Das Volk hat vergangenen Sonntag entschieden. Fast 3/4 der wahlberechtigten Bevölkerung [ich meine 73 Komma irgendwas Prozent] ging wählen. So viele Bürger:innen wie noch nie [oder zumindest schon lange nicht mehr!].

Und nun?

Jetzt brauchen z`haus die Parteien, die für eine Koalition in Frage kommen, nochmals die "Erlaubnis" ihrer Parteimitglieder bei Sonderparteitagen, dass sie eine Regierungsbildung mit der CDU/CSU eingehen "dürfen"!

Das widerlegt eine demokratische Wahl!
Und setzt alle demokratischen Grundregeln außer Kraft!

Weil auch Parteien und deren Mitglieder ein Wahlergebnis zu akzeptieren haben. Nicht nur der einfache, nicht parteiisch organisierte Bürger.

Solches Parteienverhalten tritt die Wahlabstimmung von uns einfachen Bürger:innen mit Füßen!

Was brauche ich da, überhaupt noch einmal zu einer Bundestags-Wahl gehen? – frage zumindest ich mich!
Noch dazu, wo beinahe 10% der abgegebenen Volksstimmen eh durchs Raster fallen, weil FDP und AfD den Einzug ins Parlament knapp verfehlten...
Bei 73% [wieviel sind das nochmal von etwa 60 Millionen wahlberechtigten Deutschen??]... gerade nicht wenige, die da bei der Bundestagswahl vergeblich ihr Kreuzerl in der Wahlkabine machten. Allerdings so sind eben die demokratischen Regeln! In weiser Rückschau der Lehren aus den Weimarer Verhältnissen! Das akzeptieren wir einfachen Bürger:innen, weil es so die Regeln sind und wir ja gute, brave Deutsche sind.

Wer sich nicht dran hält: Das sind ausgerechnet diejenigen, die an sich Vorbilder sein sollten, die zum Wohle eines Staatsvolkes handeln, sich für das Wohl eines Landes, ihrer Nation, einsetzen und aufgrund der gestiegenen Bedeutung Deutschlands, auch mehr an die Ausstrahlungswirkung ihres Handelns auf und in die Welt achten sollten!

Stattdessen gebärden sich jene, die vom einfachen Bürger mit politischer Verhandlungsmacht für eine Regierungsbildung ausgestattet wurden, wie ein Haufen unfähiger, undisziplinierter, verantwortungsloser Parteisoldaten und nicht wie das designierte Regierungspersonal einer Nation, auf die auch die Welt schaut!

Da wird man beinah` ohnmächtig, wenn man vom Ausland aus zuschaut und in einer Stadt von Welt hockt!
Da wird einem deutlich, warum sich so viele andere Europäer-innen über uns Deutsche aufregen - über den Besser-Wessi...

Und dabei zeigt das politische Berlin in diesen Tagen, dass es nicht mehr ist wie eine Provinzposse!

Peinlich, das alles!

:-(((
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Shhhhh - 28. Sep, 20:02

Ich finde das nicht peinlich. Es ist nicht anders als anderswo auch. Im Übrigen finde ich es sehr gut, dass sich die Partei innerhalb ihrer Mitglieder darüber verständigt, ob eine Koalition mit der CDU überhaupt Sinn macht. Ich möchte hier, als Linker wohlgemerkt, noch einmal auf Verhältnisse hinweisen, die ebenfalls gewählt worden sind, nämlich Rot Rot Grün, und auch darüber sollte abgestimmt werden, meiner Meinung nach.
Über die 5% Klausel ließe sich streiten, ich finde da vieles plausibel, bin da aber eher konservativ.

Teresa HzW - 29. Sep, 14:10

Es ist die Distanz des Auslands-Aufenthalts und die Gespräche mit anderen nicht-deutschen Europäern, die in mir diese andere [Peinlichkeit erzeugende] Wahrnehmung schärft; lieber SHHHHH; außerdem reagier[t]e ich auf einen parteipolitischen Staatsdirigismus, der das Wohl einer Partei über das Wohl des Landes stellt, immer schon allergisch ;-)

Ungewöhnlich ist [auch aus der derzeitigen Auslandserfahrung heraus], dass ich bei den Nachbarn im Süden und Osten noch nie eine so hohe aufmerksame Beobachtung der politischen Entwicklungen in unserem Land wahrgenommen habe... klar, weil D derzeit tonangebend in Europa ist, da wollen auch die Freunde in der Welt wissen, auf was sie sich da bei den Deutschen künftig einstellen dürfen!

Bzgl. der 5%-Klausel: Weimarer Verhältnisse will keiner haben ;-)
Shhhhh - 29. Sep, 17:40

Das mit dem "Wohl der Partei" ist mir irgendwie nicht so ganz klar geworden.
Hans Z. (Gast) - 29. Sep, 00:26

Es will mir scheinen, liebe Teresa, dass im Blätterwald die Brisanz der möglichen großen Koalition nicht kommuniziert wird. Wenn Schwarz und Rot zusammen gingen, dann gäbe es wegen der aktuellen Mandatsverteilung keine wirksame parlamentarische Kontrolle mehr. Die Opposition fiele nämlich unter 25% der Mandate. Kein einziges der Minderheitenrechte mehr wäre erreichbar (Untersuchungsausschuss, Gesetzesprüfungsverfahren etc.).

Das stelle man sich in einer ruhigen Minute mal vor: eine Regierung ohne jegliche [wirksame] Kontrolle. Ich habe sehr vage Stimmen vernommen, dass eine schwarzrote Regierung ja einige [Konsens]Quoren herabsetzen könnte. Damit würde allerdings Opposition von Regierungs Gnaden geschaffen. [Echte] Demokratie soll das aushalten müssen?

Dass in den roten Parteigremien diese Frage ernsthaft diskutiert wurde, darf als Möglichkeit seit Freitag ausgeschlossen werden. Ich fürchte, den Roten ist die Lage überhaupt nicht bewusst.

Womit ich zur Besserwisserei komme: "Uns geht es gut!" betörte Merkel die Mehrheit der gültig Wählenden (das sind 30% der Wahlberechtigten, während 27% bevorzugten, nicht zu wählen). Die Frage ist: wie lange noch? Denn der Glaube ist ja, dass die Deutschen [außen]wirtschaftlich alles richtig gemacht, während einige andere sträflich über ihre Verhältnisse gelebt haben. "Die müssten's nur so machen, wie wir Deutsche!" lautet doch die mit breiter Brust vorgetragene Überzeugung. In den vergangenen Jahren wurde das in den Krisenländern auch sehr vehement durchgesetzt. Wer zahlt, schafft an, lautet das Motto, Wettbewerbsfähigkeit das Zauberwort.

Ich behaupte kühn, dass für viele Merkel-Wähler:innen Angst die treibende Motivation war. Angst davor, dass die Seifenblase des "Uns geht es gut" platzen könnte. Denn dass es mittlerweile rund einem Viertel der abhängig Erwerbstätigen in Deutschland nicht mehr ganz so gut geht (Niedriglohnsektor), blieb nun doch nicht vollkommen verborgen. Tendenz: steigend. Mit keinem Wort ist das meiner Wahrnehmung nach im Wahlkampf thematisiert worden. Und doch ahnen einige, dass sich die stolzen Exportüberschüsse gleichsam über Nacht in Luft auflösen könnten. Dann nämlich, wenn sich der Euroraum währungstechnisch spaltet oder gar auflöst.

Liebe Teresa, ich kann nicht annähernd ausdrücken, wie empört ich über die Vorgänge in Ihrer Heimat bin. Es geht nämlich nicht nur um Deutschland, es geht auch nicht mehr um die europäische Währungsunion. Europa als integrative Idee steht auf dem Spiel, weil der (verzeihen Sie bitte) deutsche Michel schnarcht.

(Anmerkung am Rande: nicht knapp 10% der Stimmen gingen den Bach 'runter, sondern einschließlich der "Sonstigen wahlwerbenden Gruppierungen" annähernd 15%)

Teresa HzW - 29. Sep, 14:27

Ich suche "vergeblich" nach einem Widerworte zu Ihrem Kommentar, lieber Hans Z., für dessen Ausführlichkeit ich Ihnen sehr herzlich danke.
In der Tat, dass im Falle sw-rot eine Mini-Opposition übrig bleibt, bereitet immerhin auch einigen anderen [Politikern!] Kopfzerbrechen! Das ist nicht gut und würde bei vielen politischen Themen das Land vor neue Herausforderungen stellen. Andererseits erhielten dadurch die beiden Oppositionsparteien, LINKE und GRÜNE, auch eine ganz andere und bessere Aufmerksamkeit, íhr Profil zu schärfen und politische Themen zu setzen. Das könnte auch sehr, sehr spannend werden und für 2017 denen auch neue Wählerchancen bringen.
Allerdings... bei aller Kritik, die ich immer wieder auch gegen gelb hatte, dass der liberale Geist künftig im Bundestag fehlt, ist nicht gut für unser Land. Ich frage mich, ob da nun der Begriff der "außer-parlamentarischen Opposition" eine neue, andere Bedeutung erfahren wird, denn die Liberalen werden sich einiges einfallen lassen müssen, um aus der Ferne des Berliner Politikbetriebes mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Da sind die wenigen Recken, die denen noch in einer Handvoll Parlamente der Bundesländer geblieben sind, die nächsten vier Jahre ganz schön gefordert!

Daher verhehle ich nicht, dass ich unter all diesen widrigen Verhältnissen, die sich gerade entwickeln, auch nichts gegen Neuwahlen hätte! Eins schiene mir dann gewiss - beim Blick in eine hypothetische Glaskugel: Dass dann die beiden großen Volksparteien CDU und SPD die Verlierer wären zugunsten einer FDP wie auch einer AfD. Die einen zögen dann wieder und die anderen erstmals ein... und dann...!?

Na... sieht wohl auf alle Fälle so aus, als ob das einen widerwortigen Herbst geben könnte....

Was Europa betrifft, bitte auch meinen Kommentar oben lesen!

Immerhin Ihr Seitenhieb auf den "Deutschen Michel" erheiterte mein Gemüt, womit der Sonntag gerettet ist :-))
tinius - 29. Sep, 06:53

Koalitionen sind im Wahlgesetz nicht explizit Pflicht. Demokratischer wäre eine (Minderheits)Regierung, die sich in Sachfragen ihre jeweilige Mehrheit suchen müßte. Von daher ist die Bildung welcher Koaliton auch immer durchaus ein demokratisch zu legitimierender Vorgang über die Wahlen hinaus.

Teresa HzW - 29. Sep, 14:42

Jawoll, lieber Tinius, Koalitionen sind keine "rechtliche", jedoch -meines Erachtens- zumindest eine Bürgerpflicht, wenn man tatsächlich dem Wohl seiner Nation und nicht zuerst den Ideologien seiner Partei dient!

Den Charme einer schwarzen Minderheitsregierung sehe ich auch... zumal der bayerische Löwe da für die nötige Würze und dafür sorgen wird, dass die große Schwester nicht zu übermütig agiert ;-) - doch ob es dazu kommt!?
Teresa HzW - 29. Sep, 14:45

Herzlich Dank, liebe Kommentatoren,
für Ihre anregenden Wi[e]derworte!
Ich rechnete eigentlich gar nicht damit, dass jemand kommentieren wird, daher freut`s mich umso mehr!

In diesem Sinne einen schönen Sonntag, weiterhin!

Jossele - 29. Sep, 15:54

Ähm, ich mein, wir wählen ja gerade noch, aber als Stimmgebender einer Partei möcht ich schon dass die Basis auch mit einbezogen wird, ob, zu welchen Bedingungen und in welchen Konstelationen meine gewählte Partei Regierungsverantwortung übernimmt.

Einmal eine Stimme abgeben und das war´s dann, das ist mir zu wenig.
Verantwortung tragen, ja, aber nicht um jeden Preis.
Inhalte, und darum wähle ich ja eine Partei, und deren mögliche Umsetzung, das wär schon wesentlich.

Teresa HzW - 2. Okt, 14:05

Bei uns in D ist halt alles immer ein bisserl komplizierter als anderswo; da steht die deutsche Gründlichkeit manchmal mehr im Weg als sie nützt ;-)

Einfacher ist`s da bei Euch; selbst bei Wahlen: "Nach der Wahl ist vor der Wahl" - dieser Spruch bekommt bei Euch eine ganz neue Bedeutung, wenn man an die Regierungsbildung denkt - will sagen: Bei Euch bleibts wohl nach der Wahl bei der blau-schwarzen Regierung, die Ihr vor der Wahl auch schon hattet!? ;-))
Teresa HzW - 30. Sep, 09:12

Liebe Kommentator-inn-en,

die Frage, wer D regieren wird bleibt spannend, Günther Jauch sprach mir gestern aus tiefer Seele, als er sinngemäß sagte: Die SPD sei die größte Nicht-Regierungs-Organisation Deutschlands!

Liebe Kommentator[inn]en,
auf ihre Wi[e]derworte nehme ich Bezug, sobald ich wieder z`haus am Neckarstrand bin…. jetzt muss ich erstmal heimwärts reisen!

Wünsch` Ihnen allen einen frohen Tag!
Und einen guten Wochenbeginn...
...meiner wird wehmütig starten [wenn Sie den heutigen Wiederworte-Tageseintrag lesen, wissen`s warum ;-)]

Herzlichst
Teresa :-)

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