Mirjam Richner - Bachmann Bimbamtag 1
Bettlägerige Geheimnisse
Ich bin vorhin in meine Kritik eingestiegen mit einer postmodernen Text[Autorin?] und ich beende den ersten Kritiker-Leserinnen-Tag mit einer postmodernen Text[Autorin?] und schicke voraus, dass es das einzige, dafür um so heftigere Mal war, wo ich mich „Jesses“-mäßig über alle Juroren aufregte. Doch der Reihe nach...
Zweifelsohne bringt Richner den allerschönsten Einstieg in ihre Geschichte mit folgendem Gedicht oder Spruch, den sie – wie weitere fünf Gedichte – als Einschub dem jeweiligen Sinnabschnitt des darauf folgenden Textblocks voranstellt:
in schlaflosen nächten
klopft der tod
an unsere gedanken,
wir tischen ihm
eine wässrige, erkaltete
suppe
auf
- ohne fleisch -
und sitzen ihm
stumm
gegenüber
Dieser Einstieg macht Hoffnung…. auf mehr… auf eine reflektive Geschichte.
Ich sollte mich nicht irren, wenn es eineinhalb Seiten weiter heißt:
Vielleicht bedeutet das Wort Lehrkraft, dass man nur so lange lehren kann, wie man voller
Kraft ist.
Die Protagonistin ist Lehrerin; Junglehrerin, die sich zusammen mit ihrer Freundin auf eine Bergtour begibt, bei der sie in einer Hütte von einer Schneelawine verschüttet werden. Sie überlebt – zunächst – schwer verletzt, während die Freundin, ebenfalls Lehrerin – ums Leben kommt. Eingeschlossen und alleine überlegt sie in der Finsternis der Schneehölle, wie lange sie wohl in diesem Raum überleben kann. Allerlei surreale, die Juroren werden es als Traum[a]-Gedanken [bewerten] gehen ihr dabei durch den Kopf. Irgendwann… wird ihr gewahr, dass auch sie schwer verletzt ist.
Zumindest könnte man das so lesen.
Aber.... auch anders. Wie die Juroren. Doch dazu gleich mehr.
Für mich ist es ganz klar ein in der Tradition der postmodernen Literaten verfasster Text!
Die Einschübe mit Gedichten, sinnhaften Nachdenklichkeiten, die etwas surreal rüber kommen wie etwa jener, sprechen dafür:
schwarz
zugeteilte farbe
ganz zu beginn
einer konturlosen, schmerzhaften existenz,
auflösung
Fast lesen sich diese Einschübe wie ein Motto für den jeweils nächsten Textabschnitt. Dann die interkontextuellen Bezüge ihrer To-Read-List:
„Ich habe eine To-Read-List. So eine Liste mit Büchern, die ich bis zum Tod unbedingt
gelesen haben muss. Schilten. Andorra. Stiller. Zündels Abgang. Endspiel. Die Angst des
Tormanns beim Elfmeter. Die Wand. Der Golem. Der Prozess.“
Weiters postmodern die Auseinandersetzung der Autorin im Text mit ihren Erzähler-Figuren, wie sie auch bei Italo Calvino oder Umerto Eco wiederzufinden sind:
Ich frage mich oft, welche Beziehung Schriftsteller zu ihren Figuren haben. Vermutlich sind
für einen Schriftsteller die von ihm erschaffenen Figuren wie ein Strauss bunter Luftballons.
Bei manchen umklammert er die Schnur dicht unter dem Ballon, andere hält er am äussersten
Ende des Fadens. Alle Ballons sind gezwungen, in der Nähe des Schriftstellers zu verbleiben;
im Radius seines Intellektes und seiner Kreativität. Warum nicht die Faust öffnen und die
Ballons entfliegen lassen? So wie Eltern ihre Kinder entfliegen lassen. Ob es die Furcht des
Schriftstellers ist, die Ballons würden zu hoch fliegen und aufgrund des Luftdrucks
zerplatzen? Oder sie würden sich in Zweigen verheddern und an einer ungeplanten Stelle –
vielleicht sogar für immer – verweilen? Oder ist es Eitelkeit? Das Geschaffene nicht gehen
lassen können, im Gegenteil: Sich von seinen Kreaturen wünschen, dass sie einem huldigen?
Gott ist Schriftsteller.
Der Bezug zur Realität – an einen magischen Realismus –erinnernd:
Ich streife durch den Raum, streiche über Begrenzungen. Schranktür, Schranktür, Schranktür,
Schranktür, Wand kurz, Fens-ter-front, Wand-Wand-Wand-Wand, Tür, Wand-Wand-Wand-
Wand-Wand. Und auf in die nächste Runde. So ist das Leben. Immer im Kreis. Trotzdem
fühlt sich jede Runde anders an, jedes Mal entdecke ich Neues. Nicht, dass das speziell gut
wäre. Ich fände es auch okay, wenn sich jede Runde gleich anfühlen würde, dann könnte ich
das Denken einstellen und würde weniger schnell altern, vielleicht sogar jüngern. Jüngern?
Bestimmt gibt es das Wort in dieser Funktion nicht, schade.
Eine der stärksten Textpassagen ist jene, wo sie sich von ihrer toten Lehrer-Freundin "Manu" verabschiedet und die zugleich wirkt, als befände sie sich nicht in einer einsamen, von einer Lawine verschütteten Berghütte, sondern irgendwo in einer TV-Talkshow, wo sie gleich den Joker ziehen kann und ihr irgendein Zuschauer aus der Patsche helfen wird. Die Flucht vor der Realität in die surreale Traumwelt?
Manu vor Gott: Ungeschminkt, aber mit offenen Augen. [das ist mir der schönste Satz an diesem Bachmann-Tag!]
und weiter im Text:
„Tja Manu“, höre ich mich sagen, „da hast du mich ganz schön im Stich gelassen, was?“ Der
Klang der eigenen Stimme tut gut. „Wird wohl zu wenig Sauerstoff gehabt haben in dem
schmalen Gang und so bist du klammheimlich erstickt. Oder vielleicht doch erfroren? Mach
dir keine Vorwürfe, hätte auch mir passieren können, ehrlich. Klar weiss ich, dass es nicht
deine Art ist, mich hängen zu lassen, logisch. Werd ich dir auch nicht nachtragen; Vorwürfe
wird’s von meiner Seite her nie geben, versprochen. Was meinst du, soll ich den Telefonjoker
nehmen und einen beliebigen Erdenbürger fragen, was ich tun soll? Oder einen
Himmelsbürger? Ob ich Gott anrufen soll? So in der Art: ‚Lieber Gott, hör mal, ich sitze ganz
schön in der Klemme, hab auch ein bisschen kalt, könntest du mir bitte helfen?’“
Die Juroren erkennen diese [post]postmodernen Ansätze nicht. Sie übersehen sie glatt. Oder wollen sie übersehen?
Es grenzt mir beinahe an ein Wunder, das Richner überhaupt vor-lesen durfte. Ich bin schwer enttäuscht von der Jury, die sich in ihren Urteilen und ihrer Kritik um Bewertungen müht, die auf diesen Text nicht im Mindesten passen, ihm in keinster Weise gerecht werden.
Eine kleine Kostprobe?
Strigl: „Es handelt sich um eine Naturkatastrophe, die naturalistisch erzählt wird“ – später korrigiert sie sich und meint, es könne auch ein „Burn-Out-Syndrom zweier Lehrerinnen“ sein, das hier als „kafkaeske Erscheinung“ beschrieben wird.
Winkels: „Hier definiert jemand laufend die Geschehnisse, die im eigenen Hirn ablaufen.“
Jandl: „Der Text eines Wahns oder einer Figur, die am Rande des Wahnsinns steht.“ Er fragt sich zudem „wo ist der Rahmen der Geschichte? Wo ist die Wirklichkeit davor oder dahinter?“
Caduff: „Ein Erlebnis, das traumatisch ist, mit einer Sprache die mainstreamig, säuselnd ist. Wahnhaftes Erzählen im Hanni- und Nanni-Style, der auf ein ernsthaftes Thema appliziert wird.“ Den Einschub der Gedichte verstehe sie nicht.
Keller: „Dieser Text hat etwas Wucherndes, Ausgreifendes. Welche Stimme soll stärker werden und hervortreten? Die Autorin hält die Figuren an langen Schnüren.“
Feßmann: „Es ist ein surrealer Text, der einem morgens beim Aufwachen in den Sinn kommt und das ist das Traumhafte am Text.“ In einem völlig surrealen Setting erlaube der Text sich alles.
Spinnen kriegt immerhin die Kurve und [daher ist er wohl auch seit Jahren der Vorsitzende] erkennt in letzter Minute: Er fühle sich bezüglich des Surrealen wie früher in der Schule nach einer Schularbeit, wenn der Lehrer zu einem sagt: „Hast Du nicht gesehen, dass da der Surrealismus drin steckt?“ Und als Schüler denke man dann: „Oh Scheiße! Haste vergessen. Die Arbeit ist verhagelt. Gibt ne Sechs.“ Er lobt jedoch den Text von Richner als einen der sich eines surrealen Charakters und seiner Merkmale bedient. Na, also!
Ob Richner wohl einen Preis erhält?
Ich wage kaum zu hoffen und drücke dennoch die Daumen!
2443 mal gelesen
Ich bin vorhin in meine Kritik eingestiegen mit einer postmodernen Text[Autorin?] und ich beende den ersten Kritiker-Leserinnen-Tag mit einer postmodernen Text[Autorin?] und schicke voraus, dass es das einzige, dafür um so heftigere Mal war, wo ich mich „Jesses“-mäßig über alle Juroren aufregte. Doch der Reihe nach...
Zweifelsohne bringt Richner den allerschönsten Einstieg in ihre Geschichte mit folgendem Gedicht oder Spruch, den sie – wie weitere fünf Gedichte – als Einschub dem jeweiligen Sinnabschnitt des darauf folgenden Textblocks voranstellt:
in schlaflosen nächten
klopft der tod
an unsere gedanken,
wir tischen ihm
eine wässrige, erkaltete
suppe
auf
- ohne fleisch -
und sitzen ihm
stumm
gegenüber
Dieser Einstieg macht Hoffnung…. auf mehr… auf eine reflektive Geschichte.
Ich sollte mich nicht irren, wenn es eineinhalb Seiten weiter heißt:
Vielleicht bedeutet das Wort Lehrkraft, dass man nur so lange lehren kann, wie man voller
Kraft ist.
Die Protagonistin ist Lehrerin; Junglehrerin, die sich zusammen mit ihrer Freundin auf eine Bergtour begibt, bei der sie in einer Hütte von einer Schneelawine verschüttet werden. Sie überlebt – zunächst – schwer verletzt, während die Freundin, ebenfalls Lehrerin – ums Leben kommt. Eingeschlossen und alleine überlegt sie in der Finsternis der Schneehölle, wie lange sie wohl in diesem Raum überleben kann. Allerlei surreale, die Juroren werden es als Traum[a]-Gedanken [bewerten] gehen ihr dabei durch den Kopf. Irgendwann… wird ihr gewahr, dass auch sie schwer verletzt ist.
Zumindest könnte man das so lesen.
Aber.... auch anders. Wie die Juroren. Doch dazu gleich mehr.
Für mich ist es ganz klar ein in der Tradition der postmodernen Literaten verfasster Text!
Die Einschübe mit Gedichten, sinnhaften Nachdenklichkeiten, die etwas surreal rüber kommen wie etwa jener, sprechen dafür:
schwarz
zugeteilte farbe
ganz zu beginn
einer konturlosen, schmerzhaften existenz,
auflösung
Fast lesen sich diese Einschübe wie ein Motto für den jeweils nächsten Textabschnitt. Dann die interkontextuellen Bezüge ihrer To-Read-List:
„Ich habe eine To-Read-List. So eine Liste mit Büchern, die ich bis zum Tod unbedingt
gelesen haben muss. Schilten. Andorra. Stiller. Zündels Abgang. Endspiel. Die Angst des
Tormanns beim Elfmeter. Die Wand. Der Golem. Der Prozess.“
Weiters postmodern die Auseinandersetzung der Autorin im Text mit ihren Erzähler-Figuren, wie sie auch bei Italo Calvino oder Umerto Eco wiederzufinden sind:
Ich frage mich oft, welche Beziehung Schriftsteller zu ihren Figuren haben. Vermutlich sind
für einen Schriftsteller die von ihm erschaffenen Figuren wie ein Strauss bunter Luftballons.
Bei manchen umklammert er die Schnur dicht unter dem Ballon, andere hält er am äussersten
Ende des Fadens. Alle Ballons sind gezwungen, in der Nähe des Schriftstellers zu verbleiben;
im Radius seines Intellektes und seiner Kreativität. Warum nicht die Faust öffnen und die
Ballons entfliegen lassen? So wie Eltern ihre Kinder entfliegen lassen. Ob es die Furcht des
Schriftstellers ist, die Ballons würden zu hoch fliegen und aufgrund des Luftdrucks
zerplatzen? Oder sie würden sich in Zweigen verheddern und an einer ungeplanten Stelle –
vielleicht sogar für immer – verweilen? Oder ist es Eitelkeit? Das Geschaffene nicht gehen
lassen können, im Gegenteil: Sich von seinen Kreaturen wünschen, dass sie einem huldigen?
Gott ist Schriftsteller.
Der Bezug zur Realität – an einen magischen Realismus –erinnernd:
Ich streife durch den Raum, streiche über Begrenzungen. Schranktür, Schranktür, Schranktür,
Schranktür, Wand kurz, Fens-ter-front, Wand-Wand-Wand-Wand, Tür, Wand-Wand-Wand-
Wand-Wand. Und auf in die nächste Runde. So ist das Leben. Immer im Kreis. Trotzdem
fühlt sich jede Runde anders an, jedes Mal entdecke ich Neues. Nicht, dass das speziell gut
wäre. Ich fände es auch okay, wenn sich jede Runde gleich anfühlen würde, dann könnte ich
das Denken einstellen und würde weniger schnell altern, vielleicht sogar jüngern. Jüngern?
Bestimmt gibt es das Wort in dieser Funktion nicht, schade.
Eine der stärksten Textpassagen ist jene, wo sie sich von ihrer toten Lehrer-Freundin "Manu" verabschiedet und die zugleich wirkt, als befände sie sich nicht in einer einsamen, von einer Lawine verschütteten Berghütte, sondern irgendwo in einer TV-Talkshow, wo sie gleich den Joker ziehen kann und ihr irgendein Zuschauer aus der Patsche helfen wird. Die Flucht vor der Realität in die surreale Traumwelt?
Manu vor Gott: Ungeschminkt, aber mit offenen Augen. [das ist mir der schönste Satz an diesem Bachmann-Tag!]
und weiter im Text:
„Tja Manu“, höre ich mich sagen, „da hast du mich ganz schön im Stich gelassen, was?“ Der
Klang der eigenen Stimme tut gut. „Wird wohl zu wenig Sauerstoff gehabt haben in dem
schmalen Gang und so bist du klammheimlich erstickt. Oder vielleicht doch erfroren? Mach
dir keine Vorwürfe, hätte auch mir passieren können, ehrlich. Klar weiss ich, dass es nicht
deine Art ist, mich hängen zu lassen, logisch. Werd ich dir auch nicht nachtragen; Vorwürfe
wird’s von meiner Seite her nie geben, versprochen. Was meinst du, soll ich den Telefonjoker
nehmen und einen beliebigen Erdenbürger fragen, was ich tun soll? Oder einen
Himmelsbürger? Ob ich Gott anrufen soll? So in der Art: ‚Lieber Gott, hör mal, ich sitze ganz
schön in der Klemme, hab auch ein bisschen kalt, könntest du mir bitte helfen?’“
Die Juroren erkennen diese [post]postmodernen Ansätze nicht. Sie übersehen sie glatt. Oder wollen sie übersehen?
Es grenzt mir beinahe an ein Wunder, das Richner überhaupt vor-lesen durfte. Ich bin schwer enttäuscht von der Jury, die sich in ihren Urteilen und ihrer Kritik um Bewertungen müht, die auf diesen Text nicht im Mindesten passen, ihm in keinster Weise gerecht werden.
Eine kleine Kostprobe?
Strigl: „Es handelt sich um eine Naturkatastrophe, die naturalistisch erzählt wird“ – später korrigiert sie sich und meint, es könne auch ein „Burn-Out-Syndrom zweier Lehrerinnen“ sein, das hier als „kafkaeske Erscheinung“ beschrieben wird.
Winkels: „Hier definiert jemand laufend die Geschehnisse, die im eigenen Hirn ablaufen.“
Jandl: „Der Text eines Wahns oder einer Figur, die am Rande des Wahnsinns steht.“ Er fragt sich zudem „wo ist der Rahmen der Geschichte? Wo ist die Wirklichkeit davor oder dahinter?“
Caduff: „Ein Erlebnis, das traumatisch ist, mit einer Sprache die mainstreamig, säuselnd ist. Wahnhaftes Erzählen im Hanni- und Nanni-Style, der auf ein ernsthaftes Thema appliziert wird.“ Den Einschub der Gedichte verstehe sie nicht.
Keller: „Dieser Text hat etwas Wucherndes, Ausgreifendes. Welche Stimme soll stärker werden und hervortreten? Die Autorin hält die Figuren an langen Schnüren.“
Feßmann: „Es ist ein surrealer Text, der einem morgens beim Aufwachen in den Sinn kommt und das ist das Traumhafte am Text.“ In einem völlig surrealen Setting erlaube der Text sich alles.
Spinnen kriegt immerhin die Kurve und [daher ist er wohl auch seit Jahren der Vorsitzende] erkennt in letzter Minute: Er fühle sich bezüglich des Surrealen wie früher in der Schule nach einer Schularbeit, wenn der Lehrer zu einem sagt: „Hast Du nicht gesehen, dass da der Surrealismus drin steckt?“ Und als Schüler denke man dann: „Oh Scheiße! Haste vergessen. Die Arbeit ist verhagelt. Gibt ne Sechs.“ Er lobt jedoch den Text von Richner als einen der sich eines surrealen Charakters und seiner Merkmale bedient. Na, also!
Ob Richner wohl einen Preis erhält?
Ich wage kaum zu hoffen und drücke dennoch die Daumen!
Teresa HzW - 5. Jul, 22:44 - Rubrik [W]ortgeklingel