flyhigher - 7. Sep, 15:11

'tschuldigung, liebe Teresa, das wird jetzt etwas länger. Untenstehende Worte habe ich am letzte Woche andernorts abgesetzt. Mit viel Herzklopfen, weil es heute recht schnell geht, dass man sich einem Shitstorm aussetzt. Dieser ist dankenswerter Weise (bis jetzt) ausgeblieben. Das hab ich geschrieben, und das passt zu deinem Beitrag.

Ich bin seit Monaten unfassbar bestürzt, wie in Europa mit Menschen anderer Herkunft, die von den untragbaren Zuständen in ihrem Land flüchten, behandelt werden. Monatelang müssen sie in Zelten ausharren bei Temperaturen weit über 30 Grad, wo es selbst des Nachts keine Abkühlung mehr gab. Die Politik tut nichts anderes, als den Schwarzen Peter von einem zum anderen schieben. Bestes Beispiel dafür wieder gestern Ungarns Ministerpräsident Orban, der die Flüchtlingsproblematik allein in Deutschland zu lösen sieht, „it’s not a European problem, it’s a German problem!“ Ungarn lässt den Bahnhof in Budapest sperren, lässt die Flüchtlinge dort in einem hoffnungslos furchtbaren Zustand, keine Hilfe wird angeboten. Tage später öffnet Ungarn den Bahnhof, Hoffnung keimt auf, Flüchtlinge besteigen den Zug, egal wohin, Hauptsache weg, und müssen lernen, dass sie 40 km weiter aus den Zügen getrieben und in Lager gesteckt werden sollen. Auch dort gedeiht ihnen keine Hilfe an. Ungarn, und viele andere Länder, verbreiten die Schreckensbilder, sodass Flüchtlinge den Eindruck bekommen, es wird ihnen in diesen Ländern nicht gut gehen. So drängen sie aus diesen Ländern weg in andere Länder, deren Zahl 9! Von 28!
Ich hatte vorgestern noch die Hoffnung, dass die Politiker in der EU endlich aufgewacht sind. Seit Monaten wissen sie, dass diese Welle auf uns zukommen wird. Seit Monaten haben sie die Hände in den Schoß gelegt, getreu dem Motto: Wenn wir nur lange genug die Augen verschließen, wird sich die Flüchtlingsfrage von selbst lösen. Seit Monaten haben sie jede konstruktive Arbeit verhindert, weil sie nur gegeneinander, und nicht miteinander gearbeitet haben. Wenn man so eine Firma führen würde, wäre diese längst bankrott. Gestern habe ich wieder gelernt, dass meine Hoffnung sich nicht erfüllen wird.
Ich habe auch keine Lösung für die Flüchtlingsfrage. Dafür sollte es klügere Köpfe als mich geben. Ich weiss nur, dass es MENSCHEN sind, um die es hier geht. Furchtbar arme Menschen, die aus ihrem Land geflohen sind. Dazu gehört schon mal einiges, von seinem Land zu fliehen in eine völlig ungewisse Zukunft. Da sind die Zustände im eigenen Land untragbar geworden. Mir ist es egal, ob Wirtschafts- oder Kriegsflüchtling. Wenn ich zu Hause nichts zu essen habe, weil die Wirtschaft am Boden liegt, sehe ich auch zu, ob ich nicht woanders mir ein besseres Leben aufbauen kann. Wenn ich zu Hause Angst haben muss, dass mir jederzeit eine Bombe auf den Kopf fallen kann, werde ich schnellstens zusehen, in ein sicheres Gebiet zu kommen, wenn es irgendwie möglich ist.
Dass nicht 9 Länder von insgesamt 28 die Bürde alleine tragen können, diesen Menschen zu helfen, steht außer Frage. Dass hier so ziemlich alles schief gelaufen ist, viel zu lange zugewartet und nichts getan wurde, die Situation zu entschärfen, steht außer Frage. Es nützt aber nichts, Schuldzuweisungen zu machen. Nun ist die Situation mal so, wie sie ist, und wir müssen aus dieser Situation die bestmögliche Lösung suchen, den bestmöglichen Weg gehen.
Ehrlich gesagt, beschleicht mich, die Ober-Optimistin, Angst. Angst, dass die Lage eskalieren könnte, wenn Europa weiterhin die Augen verschließt, und den Schwarzen Peter hin und her schiebt. Angst, dass wir nahe einem Bürgerkrieg, nahe einem Europakrieg sind.
Ich höre und lese immer wieder, wie Mitmenschen Flüchtlinge als „Pack“ und „Gesindel“ bezeichnen. Es tut mir so in der Seele weh, wie hier von MENSCHEN gesprochen wird. Diese Menschen versuchen nichts anderes, als sich und ihren Lieben ein sicheres, gutes Leben zu bieten. So wie wir alle das versuchen.
Ich höre und lese immer wieder, wie Mitmenschen einem vorrechnen, wieviel ein Flüchtling bei uns erhält, und man solle dieses Geld doch besser in unsere Kinder investieren bzw. in die arme Schicht unserer Bevölkerung. Jedem Menschen, der Hilfe benötigt, muss geholfen werden. Nach Kräften! In Österreich muss es nicht dazu kommen, dass man hungert. Mit Fleiß und Respekt und Anstand und Ehre sich selbst und anderen gegenüber kann man in Österreich gut überleben und ein zufriedenes Leben führen, soferne man irgendwann mal gelernt hat, auch mal zufrieden zu sein. Den Kindern ist dieses Rüstzeug in der Erziehung mitzugeben, Respekt vor anderen Menschen, und Liebe für andere Menschen. Das kann vor allem erreicht werden, wenn auch Kindern Respekt und Liebe entgegen gebracht wird.
Ich höre von jungen Österreichern den Satz: „Wir haben den Krieg erlebt, und wir sind nicht feige geflohen!“ Achja? Du hast Krieg erlebt? Wann? Wo? Ich bin älter als Du, auch Österreicherin, und habe keinen Krieg erlebt. Maximal meine Großeltern. Und dass von Österreich niemand geflohen ist, ist eine Mär. Jeder, der nicht auf Hitlers Seite war, hat versucht, seinen Arsch zu retten. Mit Recht. Damals konntest du aber eh nur nach Amerika fliehen, dem „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“. Quasi überall sonst herrschte Krieg.
Ich höre von anderen, dass sie sich in Orten, wo Flüchtlinge aufgenommen wurden, nicht mehr mit ihren Kindern auf die Straße trauen. Warum denn? Was tun denn diese Menschen? Laufen sie dir nach? Betatschen sie dein Kind? Versuchen sie, dich zu bestehlen? Wenn das alles nicht der Fall ist, dann bitte, grüße sie doch einfach freundlich, und bringe deinem Kind nicht auch gleich von Kindsbeinen an Fremdenhass bzw. Fremdenangst bei.
Ich bin jedes Mal bestürzt, wenn ich all diese Menschen so reden höre. Wenn ich solche Behauptungen lesen muss. Ich versuche, in meinem Bekanntenkreis, so weit es mir möglich ist, mit diesen Menschen zu diskutieren, ihnen die andere Seite des Flüchtlingsdramas aufzuzeigen. Ihnen zu ermöglichen, zu versuchen, sich mal in einen Menschen, der nur mit dem, was er am Leib hat, von seiner Heimat zu fliehen, hineinzuversetzen. Diese Menschen können nichts dafür, dass Europa unfähig ist, einen Schulterschluss zu erzielen. Diese Menschen wollen nur eines: Ihr Leben und das ihrer Lieben zu schützen, so weit es ihnen möglich ist.
So sehe ich das.


Einer der Kommentare drauf war, dass die Leute Angst haben vor der Flüchtlingswelle, die uns da überrollt. Das kann ich sehr gut nachvollziehen, wir wissen nicht, was da noch auf uns zukommt, und wie es unsere "Weltordnung" durcheinander bringen wird. Allein: Wissen beugt Angst vor. Oder zumindest das Aufzeigen von Wegen. Darum wäre die EU-Politik DRINGENDST gefordert, diese Wege aufzuzeigen, und über ihre Arbeit in puncto Flüchtlingsthema zu berichten, damit man weiß, dass A) etwas getan wird und B) wohin der Weg ungefähr führen könnte. Dann müssten auch nicht soviele Menschen Angst haben.

Teresa HzW - 9. Sep, 11:53

Liebe Fly,

merci für Deinen engagierten Kommentar, der ja schon viel mehr, nämlich ein Co-Artikel ist ;-) !!!

Ich freue mich, dass Du ihn auch hier bei mir eingestellt hast, so dass auch andere ihn lesen können; denn man kommt ja kaum noch durch mit dem Lesen - zumal sich die Nachrichten, Ereignisse und v.a. Meinungen zu diesem Thema überschlagen!
Zumal es die einzig und wahre alle zufrieden stellende Lösung nicht gibt, wenn es darum geht Kriegsflüchtlingen zu helfen. Es sollte ein jeder nach seinen Möglichkeiten helfen...

Für mich ist vor allem wichtig, aus erster Hand (und nicht über Medien! vermittelt!) zu erfahren, was wirklich Sache und Meinung in anderen Ländern ist; das ist es doch, was diesen tollen (für mich auch stets ERFAHRUNGS)Austausch [wie zum Beispiel mit Dir :-) ] über Ländergrenzen hinweg - dank Internet - möglich macht! Und was die eigene Ansicht und Meinung so bereichert! Und einen wiederum zum Nachdenken oder eben auch auf neue Gedanken, Ideen und dadurch auch Lösungen bringt!

Übrigens - anderes Thema:
Bei Euch in Österreich - in Altaussee - gibt`s ein sehr interessantes Künstlerprojekt, das sich mit der Aufarbeitung der NS-Zeit in einer bestimmten Region (Altaussee) auseinandersetzt. Es heißt Politische Landschaft(en). Es ist der Versuch, das Thema Erinnerung und kollektives Gedächtnis im Kontext der spezifischen Landschaft des Salzkammerguts und seiner politischen (NS-)Geschichte in mehreren Schritten neu zu platzieren. Ein Teil der Künstlerarbeiten findet im Tal, ein anderer Teil im Hochgebirge statt. Ziel dieses Kunstprojekts ist es, durch künstlerische Recherchen einen breiten regionalen Diskurs über die politische Geschichte der Region anzustoßen... - Dies nur ergänzt, weil ich dieser Tage im Zuge anderer Recherchen darauf stieß und vielleicht interessiert es Dich ja... oder vielleicht hast Du mal die Möglichkeit, diese Kunststationen/-installationen auf einer Tour anzusehen... daher hier für Dich ergänzt!

Gute Tage und lieber Gruß Teresa :-)
flyhigher - 9. Sep, 12:48

Vielen lieben Dank für den Hinweis! Das wird sicher eine Reise wert! :-)

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