Heimgegangen

Jetzt ist er also heimgegangen...

Durch Trübsal und viele Lasten, Schmerz und Leid ging der Weg zu ihm - zu Gevatter Tod.

Die letzten Tage hatte man ihn auf ein Luftbett gebettet, da er schon nicht mehr liegen konnte und die Haut dünn und wundgescheuert war. Seine Frau, Freundin C., hatte schließlich doch nächtens bei ihm gewacht und war mittlerweile selber am Ende ihrer eigenen Kräfte.
Die drei Tage vor seinem letzten Gang ins Vaterland fragte sie ihn jeden Abend, wenn sie ging:
„Wirst Du morgen noch da sein, wenn ich komme?“
„Natürlich!“ – antwortete er dann.
„Wirst Du noch so da liegen wie heute?“
„Was soll anders sein? Ich bin da - genauso wie heute!“

An jenem Morgen, seinem letzten, fragte ihn der Arzt: „Brauchen Sie noch etwas?“
„Ich bin rundum zufrieden“, sagte B. da.
Da saß C. bereits seit Stunden neben ihm am Bett und hielt ihm die Hand. In der Nacht hatte man sie angerufen, dass es wohl… nun… zu Ende…. gehe.
Irgendwann am Spätvormittag kam dann der Pfarrer vorbei, um nach ihm zu sehen. Da bat ihn B. um den letzten Segen. Der Kirchenmann sang B.`s Lieblingspsalm, den er in den letzten Wochen oft für ihn gesungen: Das Lied von Jesu, der ihm vorangehen möge. Und B. hörte zu, genauso wie er in den letzten fünf Wochen, seit er auf der Palliativstation lag, jedes Mal gelauscht hatte. Manchmal bewegte er still die Lippen mit. Den Text konnte er längst auswendig. Nur zum Mitsingen, da fehlte ihm die Kraft. Das ging nicht mehr. Lieber lag er da. Mit geschlossenen Augen. Auch - um sich den Weg vorzustellen, der vor ihm lag!?

Jesu, geh voran auf der Lebensbahn!
Und wir wollen nicht verweilen
Dir getreulich nachzueilen,
führ uns an der Hand
bis ins Vaterland.


Ein paar Minuten nachdem der Pfarrer gegangen war, machte auch B. sich auf den Weg und schloss seine Augen:
Für immer!

Am Freitag bei der Beerdigung waren wir überrascht, wieviele Menschen zu B.`s Abschiedsfeier in die Kirche gekommen waren. Ein Fest der Liebe sollte dieser letzte Tag werden. Das war sein letzter Wunsch. Er hat ihn sich erfüllt!

Sorgsam hat er die Lieder gewählt und seinen Gottesdienst gestaltet: zwischen liturgischen Gebeten und modernen lyrisch-poetischen Popsongs pendelte der Trauergottesdienst hin und her.
Der Pfarrer trug die Gedanken und Reflexionen vor, die aus B.`s Rückschau auf sein Leben stammten. Worte und Sätze, die B. formuliert, jedoch aufzuschreiben nicht mehr im Stande war.

Einfühlsam traf Gottes Diener den Sprachduktus des am vergangenen Wochenende verstorbenen Freundes. Uns, die wir ihm als Freunde nahe standen, waren die gewählten Worte wohl vertraut. Irgendwann während der zwanzig- oder gefühlt dreißig minütigen Ansprache sah ich nicht mehr den Pfarrer, sondern den langjährigen Lebensfreund da vorne neben dem Sarg aus hellem Kiefernholz, der über und über mit roten und weißen Rosen geschmückt war, stehen; sah ihn nachdenklich die Lippen bewegen, die Worte sorgfältig wägend, wenn er über sein Leben, aber auch über die Verletzungen dieses viel zu kurzen Lebens sprach:
....den Verlust des leiblichen Vaters durch die frühe Scheidung der Eltern, als er noch ein Dreikäsehoch war… sich arrangierend mit einem Stiefvater und einer sehr Besitz ergreifenden Mutter… aus deren Fängen er sich nie wirklich lösen konnte… da wurde mir klar, warum er oft so gern über Wochen und ein paar Mal auch für Monate nach Asien entschwand… nur weg, weit weit weg… von den Konventionen des schwäbischen Kleinbürgerlebens…
....auf Druck der Eltern [wohl auch des Stiefvaters] wählte er ein ungeliebtes Studium der Wirtschaftswissenschaften… dabei… hätte er lieber etwas Praktisches erlernt… eine erdverbundene, nachhaltige Tätigkeit... oder... einen bodenständigen Handwerksberuf.

Als ich dies hörte, erstaunte es mich nicht…
Schließlich war es er - als Einziger aus dem Freundeskreis - der vor einigen Jahren den Mut für eine eineinhalbjährige Auszeit vom Job hatte… sich kündigen und abfinden ließ und von der Abfindung fast 20 Monate lebte... während wir anderen nur darüber sinnierten… und davon träumten… alles hinzu werfen und abzuhauen... auszusteigen... ein anderes Leben als das Jetzige zu führen...

Seine Auszeit veränderte B. sehr:
Aus dem vormals hochnervösen BWLer mit zurück gegeltem Kurzhaar wurde ein in sich ruhender Typ mit langem Haar, das er im Nacken zu einem Zopf band. Den dunkelblauen Businessanzug tauschte er gegen überweite, karierte Baumwollhemden oder kurzärmelige, einfarbige, meist blaue T-Shirts zu abgewetzten Jeans oder weiten, hellen Baumwollhosen.
Wer ihn sah und vorher nicht gekannt hatte, dachte zumeist, dass er Bildhauer oder Maler sei… weil er optisch das Bild des provencalischen Bohemien verkörperte: Die schwäbische Weinbergsonne hatte seine Haut tiefbraun gefärbt und seine Garten- und Feldarbeiten wie auch die handwerklichen Tätigkeiten am eigenen Haus trainierten seinen Körper hin zu einer muskulös-athletischen Erscheinung.

"Das waren seine beiden besten Jahre", sinnierte ich und vernahm gerade noch mit halbem Ohr, wie der Pfarrer davon sprach, dass B. ihm gesagt habe, er sei sein ganzes Leben eigentlich auf der Suche gewesen: Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, nach Harmonie und Liebe. Eine Liebe, die er dann in der Begegnung und viel zu kurzen Lebenszeit mit C., seiner ihm später Angetrauten, fand. Sie sei seine Seelenverwandte gewesen. Von ihr habe er sich stets verstanden und geliebt gefühlt.
Zudem habe er eigentlich immer ein ganz normales Leben führen wollen.
Erst im Angesicht des Todes habe er - in den vielen Wochen, als ihn der Krebs ans Bett fesselte, erkannt, dass er im Prinzip doch die ganze Zeit ein bodenständiges, erdverbundenes Leben, nach dem er zeitlebens gesucht, geführt habe.
Berührt habe ihn auch, wie viele Menschen, den Weg zu ihm ans Krankenbett gefunden und mit ihm viele schöne Stunden und tief gehende Gespräche geführt hätten. Da hätte er erst gemerkt, von wie vielen Menschen er doch gemocht worden sei, was er im Leben zuvor nie so wahrgenommen habe.

"Das alles hat ihn schließlich doch mit sich und der Welt versöhnt" - sagte der Pfarrer zum guten Schluss von B.`s Abschiedsrede.

Bemerkenswert fand ich noch, dass der Pfarrer B`s Kritik an der globalisierten Wirtschafts- und Arbeitswelt sehr deutlich zum Ausdruck brachte. Das hätte B. selbst in der Form wohl öffentlich nicht getan - oder am Ende doch?
Immerhin durfte ja schon in den letzten Monaten nicht mehr über das Thema "Job" bei gemeinsamen Freundes-Treffen oder am Rande von Unternehmungen gesprochen werden. Also zu einer Zeit, als B. sich noch scheinbar gesund glaubte und nichts vom aggressiven Krebs, der in seinem Körper schlummerte, wusste.

Die deutlichen Worte, die der Pfarrer nun zum Berufsleben des B. wählte, bestätigten mir, einen Gedanken, den ich auch in den letzten Gesprächen mit B. nicht geäußert hatte: Lag darin letztlich der Auslöser für seine tödliche Erkrankung?
Schließlich sagte er drei Monate zuvor, als wir auf der Krankenstation seinen 44. Geburtstag feierten - damals stand er vor seiner ersten Chemo und der Frühling in voller Blüte vor seinen Fenstern: "Wenn ich das alles überstehe, werde ich nicht mehr in den alten Beruf zurückkehren, sondern etwas ganz anderes machen!"

Und nun offenbarte der Pfarrer vorne vor versammelter Trauergemeinde: B. habe sehr darunter gelitten, dass es am Arbeitsplatz stets nur darum ging, dass der Arbeitnehmer ein „Kostenfaktor“ sei und nicht als Mensch mit seinem Know-how, seinen Schwächen und vor allem seinen Stärken gesehen werde.

In der Kirchenbank vor mir beobachtete ich, wie sich drei der fünf dort sitzenden Herren gegenseitig Blicke zuwarfen. Arbeitskollegen von B.? Hinterher kamen die auch nicht mehr zur Beisetzung mit, sondern verabschiedeten sich nach der Kirche in ihre Autos.
„Das muss ich mir nicht mehr antun… da auf dem Friedhof“, hörte ich einen zu einem anderen sagen, da sie unmittelbar hinter mir aus der Kirche traten.

Beinahe surreal empfand ich die Beisetzung auf dem idyllisch gelegenen kleinen Waldfriedhof, auf dem B.s Grab zwischen hohen Nadelbäumen in einem Sonnenfenster liegt. Ein letztes Lied... ein Song von Queen rockte den Friedhof, dass es schöner nicht über die friedliche Stille hätte hinweg schallen können. Während beinahe jeder auf das tiefe Erdloch starrte.

"Da unten liegt er nun drin", dachte ich mir… und mochte es nicht glauben und meinte, jetzt müsste ein Krachen zu hören sein, von einem, der mit voller Kraft gegen das helle Kiefernholz tritt, unter das man ihn gebettet. Stattdessen Vogelgezwitscher, nachdem der letzte Ton den kleinen Waldhang hinauf verhallt…

Nachdem ich ans Grab getreten war, hielt ich ein Weilchen inne, warf eine Schippe Erde hinab in das Loch, zielte eigentlich gegen die Kopfseite des Sarges und es regneten doch all die Krümel des schwäbischen Lößbodens auf die schönen Rosen herab. Danach nahm ich eine der bereit gestellten Rosenblüten aus dem Körbchen, drückte sie kurz an mein Herz und warf sie hinab und hätte am liebsten ganz laut hinaus geschrien:
„B.! Rock` den Himmel!“

Stattdessen sprach ich es leise und still für mich ins Innerste hinein, wandte mich um, trat ein paar Schritte auf C. zu und drückte lange die Freundin und war nicht fähig auch nur ein Wort zu sagen… wie einige der anderen Freunde auch nicht und stellte mich neben seinen leiblichen Vater - froh, dass ich eine tiefdunkle Sonnenbrille trug, weil dann halt doch irgendwie ein paar Tränen kullerten…

Später…
als wir dann…
die schöne Leich` feierten, da war uns doch allen, als ob er, unser treuer Freund B., während wir da oben am Friedhof an seinem Grabloch standen, in der Küche am Herd der Weinwirtschaft gestanden hätte. Als ob er für uns alle derweil den Teig und die Füllung für die geschmelzten Maultaschen selbst zubereitet und gewickelt hätte, während sein Teig im Ofenrohr für den Hefezopf und den Nusszopf ging und er dann irgendwie zwischen allem noch einen sakrisch guten schwäbischen Kartoffelsalat und zuguterletzt einen gemischten Blattsalat mit Gurken, Karotten und Sellerie zauberte.

Jedenfalls war mir so, als ob er da, zwischen uns Trauernden, seiner C., seiner Familie und seinen Freunden, hin- und hergeschwebt wäre, sich "saumäßig" freuend, dass es uns allen so gut schmeckte und wir dann irgendwie doch wieder fröhlich wurden und so feierten, wie er es sich gewünscht hatte:
Ein FEST der LIEBE - wie er es uns in seiner allerletzten Einladung zu seinem Abschiedsfeste schon hatte wissen lassen:

Tod ist überhaupt nichts:
Ich glitt lediglich in den nächsten Raum.
Ich bin ich, und ihr seid ihr.
Warum sollte ich aus dem Sinn sein,
nur weil ich aus dem Blick bin?
Was auch immer wir füreinander waren,
sind wir auch jetzt noch.
Spielt, lächelt, denkt an mich.
Leben bedeutet auch jetzt all das,
was es auch sonst bedeutet hat.
Es hat sich nichts verändert,
ich warte auf euch, irgendwo sehr nah bei euch.
Alles ist gut.

(Anette von Droste-Hülshoff)
2676 mal gelesen
flyhigher - 21. Jul, 07:29

Liebe Teresa, das ist sehr einfühlsam und mitreissend geschrieben.
Ich hatte einen lieben Freund, der ebenso viel zu früh ging, und bei seinem 2. Infarkt ein Nahtoderlebnis hatte. Er sagte damals zu mir: Wenn ihr traurig seid, weil ich dann gestorben bin, seid ihr selbst schuld. Das was ich da erlebt habe, war an Friede, Glück, Zufriedenheit und Geborgenheit nicht zu übertreffen.
Das tröstet mich immer sehr, wenn einer von meinen Lieben gehen muss. Vielleicht tröstet es auch dich ein wenig.

Teresa HzW - 23. Jul, 20:06

Ganz lieben Dank für Deine tröstenden Worte, liebe Flyhigher.

Mir ging es vor allem darum, festzuhalten, wie der letzte Abschied ablief. Einmal für mich selbst, zum anderen für unsere Freundin C. Damit wir, vielleicht beim ersten Jahrestag von B.`s Tod, hier auf meinen Wi[e]der[W]orte das eine oder andere nachlesen und uns wieder in Erinnerung rufen können... denn nicht nur unsere Freundin, auch ich selbst habe Sorge, dass uns schon in einigen Monaten vieles, von dem, was gerade B. zuletzt wichtig war, im Gedächtnis verloren geht... und dann ist es doch gut, einen Ort [dies Blog!] zu haben, wo man all das erneut nachlesen kann!
steppenhund - 24. Jul, 00:23

Ein sehr schöner Nachruf.
Er erinnert mich an meinen Freund, der vor einem Jahr dahin gegangen ist. (7 Tage älter war er als ich.)
Ich werde wohl wieder seine Frau anrufen.

Teresa HzW - 24. Jul, 19:43

Sie wird sich gewiss sehr freuen, lieber Hans!
Zu oft bleiben diejenigen, die dem anderen angetraut waren, in ihrem Schmerz und ihrer Trauer, vor allem ihrer Einsamkeit nach dem Tod des geliebten Menschen allein zurück.
Wenn Sie sie anrufen, weiß sie, dass sie nicht vergessen wird!

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