Aus der Waldheimat

Auf der Schachenwiese,
wo die Ahorne stehen und wo zwischen den Ahornen in engen moosberandeten Rinnen ein Wasser rieselte: dort kamen sie zusammen... sie legten einander die Arme um den Nacken und gingen hinaus über die flachen Felder.
"Das Landleben hat Gott geben, so heiter und froh!"
Zu zwei Stimmen sangen sie es und als der jungen Herzen Lust zu groß ward, da sangen sie keine Worte mehr, sie sangen nur Gesang und das Jodeln und Jauchzen klang in den Wäldern nach und hallte in den Wänden der Höfe, die dort und da herumstanden im freien Hage.


Hier auf der Waldstraße mußte ja bald die Stelle kommen, oder warst du an ihr schon vorüber?
An dem Platze, wo dein Jugendfreund verunglückte?
Beim Holzriesen hat ihn ein abgleitender Baumstrunk totgestoßen.

Denke einmal nach, Leser[in], ob du nicht auch einen Gedankenspielgenossen gehabt hast, mit dessen Hilfe du die Welt erschaffen hättest, wenn sie nicht schon in aller Breite um euch dagelegen wäre!
Wenn die Leute nur gewollt und euren großen Absichten nicht schnurgerade entgegen gearbeitet hätten... es gäbe auf der Welt heute keine Armen und Kranken, keine Bösewichter, keine Gewalttaten und Kriege mehr...
wenn, ja wenn... es... damals... nach eurem Willen gegangen wäre...

Eine ganze Zeit über schriebt ihr euch gegenseitig Briefe philosophischen Inhalts, worin du mehr in das Sentimentale, er mehr in das Theoretische schlug.

Er grübelte, wenn die stillen Gluten seines Meilers und vielleicht auch die seines Herzens nichts mehr zu tun gaben, über der Bibel und anderen heiligen Schriften, und vielfach konnte man ihn bei diesem Lesen und Grübeln den Kopf schütteln sehen: "Es ist nicht in Ordnung, und es ist nicht in Ordnung!"

So stand es um die Zeit, als ihr euch trennen mußtet.
Du gingst in die Fremde und er blieb im "Woid dahoam". Der Abschied war in einem Wirtshause, nachdem ihr bis spät in die Nacht dort beisammengesessen und beim Obstmost noch einmal, gleichsam zusammenfassend, eure gewohnten Gespräche geführt hattet. Danach begleitetest du ihn bis zum Ahornbaum.

"Da gilt`s", sagte er und hielt deine Hand noch fester, statt sie zu lassen.
"Freund[in], ich weiß noch was. Wir werden uns nimmer untreu. Sehen wir uns nicht mehr, so ist`s das erste- und letztemal. Gib mir ein Busserl. So. Und jetzt will ich dir was sagen. Wenn einer von uns früher stirbt als der andere, und es ist ein Gott und eine Ewigkeit, so muß er zurückkehren auf diese Erden und es dem andern sagen.
Ist dir das recht?"

Du warst einverstanden.

"Ängstigen wollen wir uns nicht, mit Gespenstersachen oder so," fuhr er, der Jugendfreund, fort, "wenn`s mich zuerst sollt`treffen, ich komme zu dir wie ich bin, beim Tag oder bei der Nacht, und will dir`s berichten."
"Aber wenn der Leib in der Erden liegt, wie willst denn kommen?" war in tiefem Ernst deine Frage.
"Komme ich nicht, so weißt, es ist nichts. Sonst wirst mich schon erkennen. Siehst du mich nicht, so will ich dir`s anders kundmachen, ein Zeichen sollst haben. Und trifft`s dich früher, so besuche mich. Jetzt geh. Leb` wohl... und schreib einmal!"

So war`s.
Und nichts weiter.

Jahre später...
...erfuhrst du vom Unglück des andern.

Als du nun still und allein jene herbstliche Waldstraße gingst, auf der ihr einst ins Tal hinab gesungen, da ward dir alles wieder wach, was du einst mit dem Freund erfahren, getrieben und gesprochen hattest und du dachtest:

Wenn er jetzt käme?

Wenn er mir jetzt begegnete?
...und...
...brächte die Botschaft von einem Leben in der andern Welt!

Um dich war der heilige Friede der dämmrigen Herbst-Mondnacht. In geheimnisvollem Lichte lag der Pfad vor dir... und als sich die Straße um eine Böschung bog, sahst du etwa zwanzig Schritte von dir, dort, wo eine Mulde den Berg herabging, eine weiße Gestalt stehen.

Ganz unbeweglich.
Stand sie da.
Als warte sie auf dich.

Schmal und schlank.
War sie.
Und hatte einen großen,
fahl schimmernden Kopf.

Eine hölzerne Säule.
Das war`s!

Sie trug eine Tafel.
Und darauf stand vom Mond auf einmal hell beleuchtet:
"Allhier habe ich, Johannes Loisl, am 29. Oktober 1982, beim Holzen mein Leben lassen müssen im 27. Jahr meines Alters. Wanderer, bete für mich ein Vaterunser, auf daß Gott meiner armen Seel in jener Welt barmherzig sei."

So war`s.
Und nichts weiter.

So war mir mein Freund erschienen.
Ein Grauen ging durch mein Wesen, als ich so, gleichsam
Aug in Auge, dem längst Begrabenen gegenüberstand.
ER war mir erschienen und ich konnte doch nicht sagen, daß ein Wunder geschehen.*


Denn:
Das Wunder vollzieht sich still in der Seele des Lebendigen, des Zweifelnden, des nach trostreicher Wahrheit Ringenden.

Nur eines wird einem dabei klar:
die Toten leben in unserer Erinnerung; ob sie außer dieser geistigen Welt noch in einer anderen leben oder nicht.



Es herbstelt


*zum Totengedenken in Anlehnung an Peter Rosegger`s Waldheimat
2571 mal gelesen
Robert (Gast) - 29. Okt, 09:02

Mir lief beim Lesen ein Schauer über den Rücken. Be-d-rückend.

Teresa HzW - 30. Okt, 06:29

Ja,
nicht alle Jahrestage sind erfreulich...
steppenhund - 30. Okt, 07:13

Der Rossegger war ja einer von denen, die ich unheimlich achte. Der Waldbauernbub, der sich zu sozialkritischen Journalisten entwickelt. Wenn man die Verfilmung von Erdsegen sieht, kann man sich keinen größeren Widerspruch zu "als ich Weihnachtsfreude holen ging" vorstellen. Wenn es etwas gibt, was man Rossegger nicht nachsagen kann, ist es Sentimentalität, obwohl man glaubt, sie in manchen Werken durchschimmern zu sehen.
Es ist eigentlich für mich selbst völlig logisch, (und damit fern jeder Esoterik) dass die Erinnerung, die wir in anderen wecken, ausreichend Material für die Bestandsführung einer Seele ist. Und dieser Gedanke lässt sich noch mit einer Vielzahl von Konsequenzen weiterspinnen.

Teresa HzW - 31. Okt, 07:41

Wer einmal auf den Spuren vom Rosegger wanderte [ja, ich meine tatsächlich das Berg-Wandern, lieber Steppenhund, ;-)] - hinauf zu seinem Geburtshaus, jenem Waldhaus auf - ich glaube knapp über/um die 1000 Höhenmeter, von dort zur Waldschule und weiter über viele Kilometer über die Waldwogen und den dortigen Wald bis hinunter in den Ort und zu dem Wohnhaus, wo er später mit seiner [ich glaube 2. Frau?] lebte und auch verstarb... der spürt, dass da einer auch in seinen Romanen, wie Erdsegen, stets das Erlebte aus der Waldheimat verarbeitete und insofern sehr autobiografisch - auch in der Fiktion - schrieb. Für mich war und ist er eigentlich auch immer eine Art Chronist seiner [einer längst vergangenen] Zeit gewesen. Die würde ich nicht immer "gute alte Zeit" nennen wollen, weil sie eben auch sehr beschwerlich und hart war[was einem auf den Wanderungen sehr intensiv vor Augen geführt wird]. In Erdsegen spiegelt sich das sehr gut wieder. Ich erinnere mich ganz vage, dass es da eine alte ORF-Verfilmung gibt.

Ein sehr, sehr schöner Satz - der Ihrige: "dass die Erinnerung, die wir in anderen wecken... Material für die Bestandsführung einer Seele ist!"

:-)

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