Bachmann`s Lese-Marathoni
Gestern schrieb ich bereits über das „Performen“ und das „Inszenieren“, das diesem Bachmannpreis innewohnt.
Einst galt es als Tabu, sich dabei exaltiert zu inszenieren, da es um die literarische Lesung oder mehr noch die zu lesende Literatur ging und geht. Ein Tabu, das sich sukzessive auflöst, wie gerade diese 39. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt zeigen.
Heute am dritten Lesetag, die Sonne war gerade über dem ORF-Studio aufgegangen, kam es zu einem zweiten Tabubruch bei diesem Bachmannpreis – und das, liebe Leser:innen, gleich zweimal. Und warum eigentlich nicht!?
Zu den Regeln dieses Bewerbs zählt,
dass die vierzehn Teilnehmer:inn-en, die hier lesen dürfen, still schweigend zuhören, wenn die Juroren das Für und Wider des eben gelesenen Textes erörtern.
Die Autor:inn-en wohnen quasi der eigenen Hinrichtung oder dem Hoch-in-den-Himmel-gelobt-werden bei. Ohne sich vor dem hohen Juroren-Gericht verteidigen, klarstellen oder einen Aspekt erläutern zu dürfen.
Verdammt in alle Ewigkeit! Die Juroren-Kritik darf von keinem Bachmann-Aspiranten in Frage gestellt werden.
Das ist nicht einfach auszuhalten!
Das sieht man auch jedem an – gleich ob der Text von einem Juror über den grünen Klee gelobt oder ungerecht niedergemacht wird. Eine ambivalente Stimmungslage, die an den ungläubigen, überraschten, verärgerten oder enttäuschten Gesichtern der Teilnehmer abzulesen ist.
Gleich zwei sorgten heute für den Tabubruch dieser heiligen Bewerb-Regeln.
Nach zwanzigminütiger Juroren-Diskussion machte Jürg Halter seinem Namen alle Ehre: Es hielt ihn nicht mehr und er konterte nach dem letzten professoralen Einwand aus Graz in Richtung Jury, die den Text bis dato sehr kontrovers diskutiert hatte: „DANKE für ihre Einschätzung, ich werde das mit Jean Ziegler besprechen!“
Warum Jean Ziegler?
Nun, der Professor aus Graz hatte in die Runde gefragt: „Was ist dieses Jahr mit dem Schweizer Mann los?“ Der eine [gemeint war der Text von Tim Krohn gestern] stolpere im Paradies herum, während der andere [der von Jürg Halter] bei der Schöpfungsgeschichte im Philosophischen herumstochere. Ihm käme der Text so vor, als ob man "Jean Ziegler" [einer der bekanntesten Globalisierungskritiker] zwei Beruhigungstabletten gegeben hätte.
Juri Steiner, der Schweizer Juror, der den Autor Jürg Halter vorgeschlagen hatte, konnte das natürlich nicht auf sich sitzen lassen und sah sich bemüßigt „die einfache Geschichte“ klar zu stellen: Ein Mitropäer wacht auf im 21. Jhdt. und stellt sich seiner Panik. Er hat luzide Momente zwischen Traum u Wirklichkeit, denn die digitale Welt im 21. Jahrhundert stellt mit ihren Computern alle Infos zur Verfügung und der Prothesengott gebe sie heraus…. Die Welt des Protagonisten ist eine, in der die Computer den Menschen überholt und ihn überflüssig gemacht haben. Die Computer brauchen uns, die Menschen, nicht mehr. Der Zugang zur neuen Welt ist die Ohnmacht des einzelnen Menschen... Der einzige Weg, noch Mensch zu sein, sei, sich diesen Ängsten zu stellen, weil Angst und Ohnmacht empfinden Computer nicht.
Dass man es sich mit dem Text dieses Autors nicht leicht machen darf, erkannte Hildegard Keller. Sie meinte: „Ich werde den Eindruck nicht los, dass dieser Jürg Halter irgendwo eine ganz große Kritikerfalle aufgehängt hat."
Wer wem welche Falle gestellt und ob eine/r hinein getappt ist, wird sich dann morgen bei der Preisverleihung zeigen, wenn wir lesenden Dauer-Bachmann-Preis-Zuschauer:inn-en sehen, wer aus der Jury wen auf seinem Vorschlagszettel hat!
Alles in allem war dieser letzte Lese-Tag ein lebhaftes Hin- und Her-Florettieren in der Jury… dass es ein Genuss war, zuzusehen und zuzuhören. Das hat sicher an den Texten gelegen, die allesamt gut zu lesen und anzuhören waren. Oder lag es daran, dass sich die Jury mittlerweile warm diskutiert hatte?
Einen sehr interessanten Text las Teresa Präauer mit „Oh Schimmi“.
Er handelt vom Begehren eines jungen Mannes für eine junge Frau und von seinen schrägen Bemühungen, sie in einem Affenkostüm zu beeindrucken. Wobei mir zwischendurch nicht klar war, wer sich hier zum Affen macht… der Mensch oder doch das Tier… denn je nach Lesart hätten es auch die Beobachtungen vor einem der Riesenkäfige im Affenhaus der Bonobos in der Stuttgarter Wilhelma sein können… das Hineinschlüpfen in die Haut des anderen, die Transformation hin zu einem Tier wie in den Labors eines Doktor Frankenstein.
Immerhin - als „Soundtrack zum Lesen“ kategorisierte der Literaturprofessor aus Graz diesen Text und wies brüsk die Kritik anderer Juroren zurück: „Das hier ist kein Rap!“
Er sprach zudem als einziger aus, was ich mir bereits beim Video-Porträt über die Autorin gedacht hatte: Ihr Video erinnerte mich an den „Stadtaffen“ des Berliner Musikers Peter Fox, als sie sich am Ende des Porträts eine Affenmaske überstülpte und dabei herum tanzte.
Der rhythmisch-musikalische Vortrag der Autorin verstärkte diesen Eindruck bei mir.
Der Professor aus Graz dozierte dazu: Wir nehmen in diesem Text den Pop wahr und definieren uns auch darüber… wir definieren uns in Abgrenzung zu anderem…Es käme in diesem Text etwas zusammen, was wir anderswo schon definiert haben. Und der Stadtaffe sei auch eine Art von Image. Peter Fox habe einmal in einem Interview dazu gesagt: Ein Stadtaffe sei kein Teenie mehr, aber vom Typ her eher jung als alt!
Ich denke, Teresa Präauer, könnte die Einzige aus dem Teilnehmerfeld sein, die beim Publikumspreis Nora Gomringer gefährlich wird. Zumindest sollte man den Stadtaffen "Schimmi" der österreichischen Autorin auf der Preisliste haben!
Auffällig auch hier: Sie war die Zweite, die ebenfalls mit dem Tabu des Teilnehmer-Schweigens brach, als sie nach langer, heiterer Jury-Diskussion einen humorvollen Seitenruf in Richtung Juroren warf, den ihr übrigens, so mein Eindruck, keiner übel nahm!
Damit zeigt der diesjährige Bachmann-Preis-Bewerb, dass doch noch Hoffnung besteht!
Alte, verkrustete Strukturen des Bewerbs zaghaft aufbrechen und vorsichtig die Weichen in eine andere Zukunft dieses Bachmann-Wettlesens und der Tage der deutschsprachigen Literatur gestellt werden könnten.
Es wäre an der Zeit!
Denn im nächsten Jahr wird der Bewerb immerhin 40 Jahre alt!
Doch zuvor gilt es morgen, diejenige Preisträgerin zu küren, die das literarische Zeug dazu hat, in die Fußstapfen einer Ingeborg Bachmann zu treten!
DENN - die morgigen Preisverleihungen werden gewiss die Klagenfurter Festspiele für die Autorinnen!
Und es wird eine Frau den begehrtesten und profiliertesten deutschsprachigen Literaturpreis mit nach Hause nehmen – da bin ich mir sicher ;-))
Eine Ingeborg Bachmann würd`s freuen :-)
2275 mal gelesen
Einst galt es als Tabu, sich dabei exaltiert zu inszenieren, da es um die literarische Lesung oder mehr noch die zu lesende Literatur ging und geht. Ein Tabu, das sich sukzessive auflöst, wie gerade diese 39. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt zeigen.
Heute am dritten Lesetag, die Sonne war gerade über dem ORF-Studio aufgegangen, kam es zu einem zweiten Tabubruch bei diesem Bachmannpreis – und das, liebe Leser:innen, gleich zweimal. Und warum eigentlich nicht!?
Zu den Regeln dieses Bewerbs zählt,
dass die vierzehn Teilnehmer:inn-en, die hier lesen dürfen, still schweigend zuhören, wenn die Juroren das Für und Wider des eben gelesenen Textes erörtern.
Die Autor:inn-en wohnen quasi der eigenen Hinrichtung oder dem Hoch-in-den-Himmel-gelobt-werden bei. Ohne sich vor dem hohen Juroren-Gericht verteidigen, klarstellen oder einen Aspekt erläutern zu dürfen.
Verdammt in alle Ewigkeit! Die Juroren-Kritik darf von keinem Bachmann-Aspiranten in Frage gestellt werden.
Das ist nicht einfach auszuhalten!
Das sieht man auch jedem an – gleich ob der Text von einem Juror über den grünen Klee gelobt oder ungerecht niedergemacht wird. Eine ambivalente Stimmungslage, die an den ungläubigen, überraschten, verärgerten oder enttäuschten Gesichtern der Teilnehmer abzulesen ist.
Gleich zwei sorgten heute für den Tabubruch dieser heiligen Bewerb-Regeln.
Nach zwanzigminütiger Juroren-Diskussion machte Jürg Halter seinem Namen alle Ehre: Es hielt ihn nicht mehr und er konterte nach dem letzten professoralen Einwand aus Graz in Richtung Jury, die den Text bis dato sehr kontrovers diskutiert hatte: „DANKE für ihre Einschätzung, ich werde das mit Jean Ziegler besprechen!“
Warum Jean Ziegler?
Nun, der Professor aus Graz hatte in die Runde gefragt: „Was ist dieses Jahr mit dem Schweizer Mann los?“ Der eine [gemeint war der Text von Tim Krohn gestern] stolpere im Paradies herum, während der andere [der von Jürg Halter] bei der Schöpfungsgeschichte im Philosophischen herumstochere. Ihm käme der Text so vor, als ob man "Jean Ziegler" [einer der bekanntesten Globalisierungskritiker] zwei Beruhigungstabletten gegeben hätte.
Juri Steiner, der Schweizer Juror, der den Autor Jürg Halter vorgeschlagen hatte, konnte das natürlich nicht auf sich sitzen lassen und sah sich bemüßigt „die einfache Geschichte“ klar zu stellen: Ein Mitropäer wacht auf im 21. Jhdt. und stellt sich seiner Panik. Er hat luzide Momente zwischen Traum u Wirklichkeit, denn die digitale Welt im 21. Jahrhundert stellt mit ihren Computern alle Infos zur Verfügung und der Prothesengott gebe sie heraus…. Die Welt des Protagonisten ist eine, in der die Computer den Menschen überholt und ihn überflüssig gemacht haben. Die Computer brauchen uns, die Menschen, nicht mehr. Der Zugang zur neuen Welt ist die Ohnmacht des einzelnen Menschen... Der einzige Weg, noch Mensch zu sein, sei, sich diesen Ängsten zu stellen, weil Angst und Ohnmacht empfinden Computer nicht.
Dass man es sich mit dem Text dieses Autors nicht leicht machen darf, erkannte Hildegard Keller. Sie meinte: „Ich werde den Eindruck nicht los, dass dieser Jürg Halter irgendwo eine ganz große Kritikerfalle aufgehängt hat."
Wer wem welche Falle gestellt und ob eine/r hinein getappt ist, wird sich dann morgen bei der Preisverleihung zeigen, wenn wir lesenden Dauer-Bachmann-Preis-Zuschauer:inn-en sehen, wer aus der Jury wen auf seinem Vorschlagszettel hat!
Alles in allem war dieser letzte Lese-Tag ein lebhaftes Hin- und Her-Florettieren in der Jury… dass es ein Genuss war, zuzusehen und zuzuhören. Das hat sicher an den Texten gelegen, die allesamt gut zu lesen und anzuhören waren. Oder lag es daran, dass sich die Jury mittlerweile warm diskutiert hatte?
Einen sehr interessanten Text las Teresa Präauer mit „Oh Schimmi“.
Er handelt vom Begehren eines jungen Mannes für eine junge Frau und von seinen schrägen Bemühungen, sie in einem Affenkostüm zu beeindrucken. Wobei mir zwischendurch nicht klar war, wer sich hier zum Affen macht… der Mensch oder doch das Tier… denn je nach Lesart hätten es auch die Beobachtungen vor einem der Riesenkäfige im Affenhaus der Bonobos in der Stuttgarter Wilhelma sein können… das Hineinschlüpfen in die Haut des anderen, die Transformation hin zu einem Tier wie in den Labors eines Doktor Frankenstein.
Immerhin - als „Soundtrack zum Lesen“ kategorisierte der Literaturprofessor aus Graz diesen Text und wies brüsk die Kritik anderer Juroren zurück: „Das hier ist kein Rap!“
Er sprach zudem als einziger aus, was ich mir bereits beim Video-Porträt über die Autorin gedacht hatte: Ihr Video erinnerte mich an den „Stadtaffen“ des Berliner Musikers Peter Fox, als sie sich am Ende des Porträts eine Affenmaske überstülpte und dabei herum tanzte.
Der rhythmisch-musikalische Vortrag der Autorin verstärkte diesen Eindruck bei mir.
Der Professor aus Graz dozierte dazu: Wir nehmen in diesem Text den Pop wahr und definieren uns auch darüber… wir definieren uns in Abgrenzung zu anderem…Es käme in diesem Text etwas zusammen, was wir anderswo schon definiert haben. Und der Stadtaffe sei auch eine Art von Image. Peter Fox habe einmal in einem Interview dazu gesagt: Ein Stadtaffe sei kein Teenie mehr, aber vom Typ her eher jung als alt!
Ich denke, Teresa Präauer, könnte die Einzige aus dem Teilnehmerfeld sein, die beim Publikumspreis Nora Gomringer gefährlich wird. Zumindest sollte man den Stadtaffen "Schimmi" der österreichischen Autorin auf der Preisliste haben!
Auffällig auch hier: Sie war die Zweite, die ebenfalls mit dem Tabu des Teilnehmer-Schweigens brach, als sie nach langer, heiterer Jury-Diskussion einen humorvollen Seitenruf in Richtung Juroren warf, den ihr übrigens, so mein Eindruck, keiner übel nahm!
Damit zeigt der diesjährige Bachmann-Preis-Bewerb, dass doch noch Hoffnung besteht!
Alte, verkrustete Strukturen des Bewerbs zaghaft aufbrechen und vorsichtig die Weichen in eine andere Zukunft dieses Bachmann-Wettlesens und der Tage der deutschsprachigen Literatur gestellt werden könnten.
Es wäre an der Zeit!
Denn im nächsten Jahr wird der Bewerb immerhin 40 Jahre alt!
Doch zuvor gilt es morgen, diejenige Preisträgerin zu küren, die das literarische Zeug dazu hat, in die Fußstapfen einer Ingeborg Bachmann zu treten!
DENN - die morgigen Preisverleihungen werden gewiss die Klagenfurter Festspiele für die Autorinnen!
Und es wird eine Frau den begehrtesten und profiliertesten deutschsprachigen Literaturpreis mit nach Hause nehmen – da bin ich mir sicher ;-))
Eine Ingeborg Bachmann würd`s freuen :-)
Teresa HzW - 4. Jul, 15:00 - Rubrik [W]ortgeklingel
Dagegen wirken die Einwürfe der beiden Teilnehmer heute trotz allem brav.
Gut, fand ich`s trotzdem, dass Beide - Jürg Halter wie Teresa Präauer - den Tabu brechenden Widerspruch am Ende der Jurorendiskussion wagten... denn nur so brechen auch überholte Strukturen auf ;-)