Burroughs Day
Er konnte aus herumliegenden Schnipseln Texte kreiieren und manches seiner Werke, wie etwa Naked Lunch, landete auf dem Index. Man liebt ihn entweder oder man verachtet ihn. Das war zu seiner Lebzeit so und das scheint mir heute noch so.
Wie sonst ist die verlegerische Missachtung [s]einer Person für eine[n] interessierte[n] Leser[in] zu erklären, wenn angesichts seines einhundertsten Geburtstags seinem W[i]erken und Schaffen zu Ehren ein einziges Buch in deutscher Sprache erscheint.
Wohingegen bei anderen ausländischen Autoren zu deren Jahrestagen - wie eines Max Frisch oder einer Ingeborg Bachmann - stets eine Flut an Neuerscheinungen die Regale des deutschen(!) Buchhandels flutet.
Meine Recherchen im örtlichen Buchladen, sogar bei einem Grossisten, fielen sehr bescheiden aus! Ein einziges Buch mit dem Titel "Radiert die Worte aus! - Briefe 1959 bis 1974" - ist seit gestern auf dem deutschsprachigen Buchmarkt in deutscher Sprache erhältlich. In den elektronischen Buchlisten ist nicht mal die neue amerikanische Biografie über den Jubilar, der wie kein anderer Literatur und Musik, Kunst und Film im vergangenen Jahrhundert beeinflusste, aufgeführt. Da staunte selbst die Buchhändlerin, dass sie die vor kurzem auf dem amerikanischen Buchmarkt erschienene (und leider noch nicht ins Deutsche übersetzte) Biografie "Call me Burroughs" nicht fand. Immerhin via Amazon ließe sie sich bestellen. Doch selbst über den Internetgroßhändler dauert es etwa vier Wochen bis man sie in Händen hält. Also begnüge ich mich mit seiner Brief-Autobiografie "Radiert die Worte aus!" und der einen oder anderen Sondersendung, die in den letzten zwei, drei Wochen versteckt zwischen Klassikkonzerten und Hörfunkfeatures auf den Kultursendern spätnachts oder zu betriebsamer Tageszeit ausgestrahlt worden sind.
Mir scheint, dass ihm in Deutschland immer noch der Stempel des Rebells anhaftet. Er wird vom Buchmarkt eher mit spitzen Fingern angefasst. Etwa weil er nach wie vor als Schriftsteller des Underground gilt? Ein Wunder wär`s nicht! Für den Mainstream scheint er den Verlagen nicht geeignet. Allenfalls für einen kleinen Kreis der alten Anhänger und Komplizen. Die scheinen jedoch nicht [mehr] in den Verlagen, sondern allenfalls noch in den Rundfunkhäusern zu sitzen. Immerhin: Der Bayerische Rundfunk, der Südwestrundfunk und natürlich die Kultursparte des Deutschlandsradios ließen den Literaten, Beat-Poeten und die Ikone der Popkultur in diesen Tagen hochleben!
Worauf fokussiert also eine sich, die ihn in ihrem Blog hochleben lassen möchte!? Auf sein experimentelles Schreiben!?
Jedenfalls scheint ihn irgendetwas zu einem anderen Umgang mit Sprache gezwungen, zumindest getrieben zu haben?
Ob es der tragische Tod seiner Ehefrau war?
Jedenfalls sagt die Legende das, da er sie in jungen Jahren im Vollrausch in einer Art Wilhelm-Tell-Spiel erschossen hat?
Ein Auslöser für sein exzessives Schreiben, das er fortan praktizierte und das auch im Mittelpunkt jener Brief-Autobiografie steht, die nun bei Nagel & Kimche aufgelegt worden ist.
Einen Zeitraum von 25 Jahre Briefeschreiben umfasst dieses neue Buch, in dem er seine Erfahrungen mit LSD und Meskalin sowie allen möglichen Pilzarten aufschreibt. Das waren seine Mittel, um in andere Bewusstseinswelten vorzudringen, die er dann auch in seinen Büchern thematisierte. In "Radiert die Worte aus!" geht es viel um seine künstlerischen Ideen und Möglichkeiten diese durchzusetzen.
"Weiteres Bearbeiten des Clearing-Materials mit Tonbändern Cut-ups und Permutationen hat bemerkenswerte Resultate hervorgebracht...hier in einem versiegelten Umschlag eine abgetippte Kopie des Materials, zusammen mit einem Vortrag auf Tonband wie es zu benutzen ist", schreibt er beispielsweise am 19. August 1968 an seinen Kumpan Brion Gysin, der ihn zu seiner Cut-up-Technik inspirierte, die er zunächst nur auf Texte anwandte. Später auch auf die Musik, dann auf den Film und schließlich auch auf die Kunst übertrug, im genannten Brief deutet er diese Idee bereits an: "Wenn wir noch Film dazunehmen sollten wir es schaffen, das ganze Gebilde bis ins Unermeßliche zu steigern."
"Radiert die Worte aus!" - ein eigentümlicher Titel für einen vielfältigen Briefeschreiber, wie er es war. Einer, der ständig Briefe schrieb, an seine "Komplizen" - wie Burroughs seine Beatniks nannte: "Es gibt keine Freunde. Es gibt höchstens Verbündete. Es gibt Komplizen." So finden sich in diesem Buch viele Briefe an Allen Ginsberg, Paul Bowles , Barry Miles oder Brion Gysin, ferner an seinen Sohn Bill und an seine Mutter.
Die Briefe scheinen mir nach dem ersten Hineinlesen an diesem, seinem Einhundertsten Geburtstag wie eine Zeitreise in die Vergangenheit aus Räucherstäbchen und Teekannen, als man sich mit Hippiesmähne und in lila Latzhosen im Partykeller von Freunden traf und der Joint oder ein LSD-Tütchen kreiste. Dort diskutierte man, berauscht von der Droge, den tieferen Sinn des Lebens und die Welt verbessernde Ideen. Da engagierte man sich für ein selbstverwaltetes Jugendzentrum und demonstrierte gegen die Stationierung von Pershing-II-Raketen. Da prägte die "Atomkraft - nein Danke"-Bewegung den eigenen Spirit und ein entsprechender Button den dicken, handgestrickten Wollpullover oder den grünen Parka, den damals alle trugen.
In diese Welt passte die revolutionäre Sichtweise eines William S. Burroughs. Auch wenn man damals sein Hauptwerk Naked Lunch nicht wirklich verstand, weil man als 15- oder 16-Jährige[r] zu jung für diese rhizomartige Schreibweise war, in der die Dekonstruktion als wesentliches kompositorisches Schreib-Element fungierte. Instinktiv erfasste man jedoch, worauf es ihm und den Beatniks ankam. Vielleicht... weil man es satt hatte, eigene Erzählungen in der stringent-starren und langweiligen Schreib-Struktur eines deutschen Nach-Erzählungsaufsatzes zu verfassen?
Da man selbst auf der Suche nach anderen Wegen des Ausdrucks war? Auch in schriftlicher Form!
Denn: Aufs gscheid daher reden, darauf verstand man sich bereits - im Laberstrom des synthetischen Highnoon! Burroughs und seine irrationalen Ansichten beseelten einen bei der eigenen jugendlichen Rebellion gegen eine erstarrte, verlogene und ins Spießerleben einbetonierte öffentliche Moral. Gegen die es sich aufzulehnen galt! Die es mit markigen Worten zu brandmarken und schließlich zu verändern galt! Daher machte man ja in der Clique mit anderen Gleichaltrigen der Babyboomer-Generation und der Achtundsechziger-Nachzügler-Fraktion Front gegen die Spießer und jene, die an Hinterzimmerstammtischen untergegangenen braunen Träumen nachhingen. Burroughs eignete sich ideal, um das spießige Bürgertum zu schockieren. Zumindest damals: zu Beginn und Mitte der 1970er Jahre in der Abgeschiedenheit des ländlichen Westdeutschlands.
Der fraktale Aufbau von Naked Lunch und die nach allen Seiten hin explodierende Sicht von Burroughs ließen einen damals aufbrechen - in eine andere Welt, die man mit erschaffen wollte. Zumindest glaubte man das damals, dass es möglich sei, die spießige Welt umzuprogrammieren, ihr den eigenen Stempel aufzudrücken, sie nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten.
Dazu hat William S. Burroughs meine Generation inspiriert, vielleicht auch angehalten, neue Wege zu beschreiten, weil er zeigte, dass es wichtig ist, anders zu denken. Schließlich wollte Burroughs immer gegen vorgefertigte Gedankenmuster agieren.
Er hielt die Sprache für einen Virus, der womöglich aus dem Weltraum über die Menschheit gekommen war. Daraus entwickelte er die Haltung: "Wenn Sprache Denken ist, kann die Arbeit des Schreibers nicht vor dem Denken halt machen!"
"Am Anfang war das Wort und das Wort war Gott" steht auch irgendwo in einem seiner Bücher. Am Anfang wovon war das Wort, von dem alles anfing?
Kam das geschriebene vor oder nach dem gesprochenen Wort?
Das waren Fragen, die ihn umtrieben und auch uns, die Nach-Kriegs-Geborenen. Immerhin war es gerade erst 10, 15 oder 20 Jahre her, dass einer der verheerendsten Kriege der Menschheitsgeschichte die Welt in Schutt und Asche gelegt hatte.
In seinen Büchern beschreibt Burroughs sehr gut die Mechanismen von Sprache und Macht, vor allem wie sich die Macht der Sprache bedient. Er zeigt, wie Sprache zur Manipulation verwendet wird, nicht erst bei den Eroberungs-Feldzügen auf dem europäischen Kontinent oder bei der Kolonialisierung der Neuen Welt.
In The Job, einem Interview, das Daniel Odier einmal mit Burroughs führte, sagt er: "Hat ein Problem einmal das politisch-militärische Stadium erreicht, ist es bereits unlösbar."
Angesichts des Bürgerkriegs in Syrien und der Bürgerproteste in der Ukraine erlangt diese mehr als fünfzig Jahre alte Erkenntnis des Underground-Beatniks brisante Aktualität.
Damals wurde er für viele seiner Ansichten gescholten, gar für paranoid abgestempelt.
Etwa, wenn er - wie in den 1970ern geschehen - die globalisierte Welt phantasierte. Viele hielten das damals für reine Fiktion oder für die Wahnvorstellungen eines Junkie.
"Die Herrschenden werden Wege finden, die Menschen zu kontrollieren…. auf jede erdenkliche Weise…", schrieb er damals und "man erfindet eine Bedrohung, um sofort wieder eine Rechtfertigung zu haben, etwas - ein Tun - einschränken zu können." Vor dem Hintergrund der aktuellen NSA-Bespitzelung erscheinen mir viele seiner fünfzig, sechzig Jahre alten Gedanken beinahe wie prophetische Weissagungen, die zu seiner Zeit keine[r] glauben wollte - außer seinen Jüngern, seinen Anhängern, die sich rund um den Erdball verteilten.
Damals wie heute lesen sich viele seiner Texte wie Tripps durch Zeit und Raum! Und wenn Schriftsteller Raum-Zeit-Reisen unternehmen, dann können sie doch gar nicht anders, dann müssen sie Techniken entwickeln die auch diesem Zeitalter [damals war es das der Raumfahrt] entsprechen!
Gerade die Bücher seiner Cut-up-Trilogie - Softmachine, Nova Express und the ticket that exploded - lesen sich wie Forschungsberichte, in denen utopische Welten und fremdartige Realitäten aufbrechen. Es sind Reiseberichte in unerforschte, nicht vermessene Landschaften innerer und äußerer Sprachräume. Diese Reisen führen Burroughs in immer differenziertere Gebilde von Machtstrukturen. In seinen Büchern legt er dar, wie Machtgebilde konstruiert werden könn[t]en. Damals wie heute gruselig zu lesen. Heute, weil einem beim Lesen Beispiele aus der globalen Gegenwartswelt einfallen.
Mich fröstelt...
...beim Gedanken daran…
Beim Durchblättern und Hineinlesen in das eine oder andere Buch an diesem - Burroughs Geburts- Tag wird mir plötzlich klar, warum der Buchtitel "Radiert die Worte aus!" genial gewählt ist:
Nicht nur von diesem kleinen Schweizer Verlag, der - die Globalisierung lässt schön grüßen - selbst schon längst zu einer großen Verlagsgruppe, dem Hanser in München, gehört.
Sondern es war Burroughs selbst, der im oben erwähnten Brief am 19. August 1968, aus London, an den Cut-up-Komplizen in Tanger schrieb: "Zum ersten Mal habe ich es wirklich geschafft die Worte auszuradieren."
Liebe Leserinnen und Leser,
wer "phantastische" [;-)] Literatur mag, für den lohnt sich, wieder einmal diesem Sprach-Eremiten nachzugehen:
in die Welt seiner Briefe hinein- und in die Werke seiner Atlantis ähnlichen Welt hinab zu tauchen!
...und nicht nur,
weil er am 5. Februar seinen 100. Geburtstag [ge]ha[b]t [hät]te...
3629 mal gelesen
Wie sonst ist die verlegerische Missachtung [s]einer Person für eine[n] interessierte[n] Leser[in] zu erklären, wenn angesichts seines einhundertsten Geburtstags seinem W[i]erken und Schaffen zu Ehren ein einziges Buch in deutscher Sprache erscheint.
Wohingegen bei anderen ausländischen Autoren zu deren Jahrestagen - wie eines Max Frisch oder einer Ingeborg Bachmann - stets eine Flut an Neuerscheinungen die Regale des deutschen(!) Buchhandels flutet.
Meine Recherchen im örtlichen Buchladen, sogar bei einem Grossisten, fielen sehr bescheiden aus! Ein einziges Buch mit dem Titel "Radiert die Worte aus! - Briefe 1959 bis 1974" - ist seit gestern auf dem deutschsprachigen Buchmarkt in deutscher Sprache erhältlich. In den elektronischen Buchlisten ist nicht mal die neue amerikanische Biografie über den Jubilar, der wie kein anderer Literatur und Musik, Kunst und Film im vergangenen Jahrhundert beeinflusste, aufgeführt. Da staunte selbst die Buchhändlerin, dass sie die vor kurzem auf dem amerikanischen Buchmarkt erschienene (und leider noch nicht ins Deutsche übersetzte) Biografie "Call me Burroughs" nicht fand. Immerhin via Amazon ließe sie sich bestellen. Doch selbst über den Internetgroßhändler dauert es etwa vier Wochen bis man sie in Händen hält. Also begnüge ich mich mit seiner Brief-Autobiografie "Radiert die Worte aus!" und der einen oder anderen Sondersendung, die in den letzten zwei, drei Wochen versteckt zwischen Klassikkonzerten und Hörfunkfeatures auf den Kultursendern spätnachts oder zu betriebsamer Tageszeit ausgestrahlt worden sind.
Mir scheint, dass ihm in Deutschland immer noch der Stempel des Rebells anhaftet. Er wird vom Buchmarkt eher mit spitzen Fingern angefasst. Etwa weil er nach wie vor als Schriftsteller des Underground gilt? Ein Wunder wär`s nicht! Für den Mainstream scheint er den Verlagen nicht geeignet. Allenfalls für einen kleinen Kreis der alten Anhänger und Komplizen. Die scheinen jedoch nicht [mehr] in den Verlagen, sondern allenfalls noch in den Rundfunkhäusern zu sitzen. Immerhin: Der Bayerische Rundfunk, der Südwestrundfunk und natürlich die Kultursparte des Deutschlandsradios ließen den Literaten, Beat-Poeten und die Ikone der Popkultur in diesen Tagen hochleben!
Worauf fokussiert also eine sich, die ihn in ihrem Blog hochleben lassen möchte!? Auf sein experimentelles Schreiben!?
Jedenfalls scheint ihn irgendetwas zu einem anderen Umgang mit Sprache gezwungen, zumindest getrieben zu haben?
Ob es der tragische Tod seiner Ehefrau war?
Jedenfalls sagt die Legende das, da er sie in jungen Jahren im Vollrausch in einer Art Wilhelm-Tell-Spiel erschossen hat?
Ein Auslöser für sein exzessives Schreiben, das er fortan praktizierte und das auch im Mittelpunkt jener Brief-Autobiografie steht, die nun bei Nagel & Kimche aufgelegt worden ist.
Einen Zeitraum von 25 Jahre Briefeschreiben umfasst dieses neue Buch, in dem er seine Erfahrungen mit LSD und Meskalin sowie allen möglichen Pilzarten aufschreibt. Das waren seine Mittel, um in andere Bewusstseinswelten vorzudringen, die er dann auch in seinen Büchern thematisierte. In "Radiert die Worte aus!" geht es viel um seine künstlerischen Ideen und Möglichkeiten diese durchzusetzen.
"Weiteres Bearbeiten des Clearing-Materials mit Tonbändern Cut-ups und Permutationen hat bemerkenswerte Resultate hervorgebracht...hier in einem versiegelten Umschlag eine abgetippte Kopie des Materials, zusammen mit einem Vortrag auf Tonband wie es zu benutzen ist", schreibt er beispielsweise am 19. August 1968 an seinen Kumpan Brion Gysin, der ihn zu seiner Cut-up-Technik inspirierte, die er zunächst nur auf Texte anwandte. Später auch auf die Musik, dann auf den Film und schließlich auch auf die Kunst übertrug, im genannten Brief deutet er diese Idee bereits an: "Wenn wir noch Film dazunehmen sollten wir es schaffen, das ganze Gebilde bis ins Unermeßliche zu steigern."
"Radiert die Worte aus!" - ein eigentümlicher Titel für einen vielfältigen Briefeschreiber, wie er es war. Einer, der ständig Briefe schrieb, an seine "Komplizen" - wie Burroughs seine Beatniks nannte: "Es gibt keine Freunde. Es gibt höchstens Verbündete. Es gibt Komplizen." So finden sich in diesem Buch viele Briefe an Allen Ginsberg, Paul Bowles , Barry Miles oder Brion Gysin, ferner an seinen Sohn Bill und an seine Mutter.
Die Briefe scheinen mir nach dem ersten Hineinlesen an diesem, seinem Einhundertsten Geburtstag wie eine Zeitreise in die Vergangenheit aus Räucherstäbchen und Teekannen, als man sich mit Hippiesmähne und in lila Latzhosen im Partykeller von Freunden traf und der Joint oder ein LSD-Tütchen kreiste. Dort diskutierte man, berauscht von der Droge, den tieferen Sinn des Lebens und die Welt verbessernde Ideen. Da engagierte man sich für ein selbstverwaltetes Jugendzentrum und demonstrierte gegen die Stationierung von Pershing-II-Raketen. Da prägte die "Atomkraft - nein Danke"-Bewegung den eigenen Spirit und ein entsprechender Button den dicken, handgestrickten Wollpullover oder den grünen Parka, den damals alle trugen.
In diese Welt passte die revolutionäre Sichtweise eines William S. Burroughs. Auch wenn man damals sein Hauptwerk Naked Lunch nicht wirklich verstand, weil man als 15- oder 16-Jährige[r] zu jung für diese rhizomartige Schreibweise war, in der die Dekonstruktion als wesentliches kompositorisches Schreib-Element fungierte. Instinktiv erfasste man jedoch, worauf es ihm und den Beatniks ankam. Vielleicht... weil man es satt hatte, eigene Erzählungen in der stringent-starren und langweiligen Schreib-Struktur eines deutschen Nach-Erzählungsaufsatzes zu verfassen?
Da man selbst auf der Suche nach anderen Wegen des Ausdrucks war? Auch in schriftlicher Form!
Denn: Aufs gscheid daher reden, darauf verstand man sich bereits - im Laberstrom des synthetischen Highnoon! Burroughs und seine irrationalen Ansichten beseelten einen bei der eigenen jugendlichen Rebellion gegen eine erstarrte, verlogene und ins Spießerleben einbetonierte öffentliche Moral. Gegen die es sich aufzulehnen galt! Die es mit markigen Worten zu brandmarken und schließlich zu verändern galt! Daher machte man ja in der Clique mit anderen Gleichaltrigen der Babyboomer-Generation und der Achtundsechziger-Nachzügler-Fraktion Front gegen die Spießer und jene, die an Hinterzimmerstammtischen untergegangenen braunen Träumen nachhingen. Burroughs eignete sich ideal, um das spießige Bürgertum zu schockieren. Zumindest damals: zu Beginn und Mitte der 1970er Jahre in der Abgeschiedenheit des ländlichen Westdeutschlands.
Der fraktale Aufbau von Naked Lunch und die nach allen Seiten hin explodierende Sicht von Burroughs ließen einen damals aufbrechen - in eine andere Welt, die man mit erschaffen wollte. Zumindest glaubte man das damals, dass es möglich sei, die spießige Welt umzuprogrammieren, ihr den eigenen Stempel aufzudrücken, sie nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten.
Dazu hat William S. Burroughs meine Generation inspiriert, vielleicht auch angehalten, neue Wege zu beschreiten, weil er zeigte, dass es wichtig ist, anders zu denken. Schließlich wollte Burroughs immer gegen vorgefertigte Gedankenmuster agieren.
Er hielt die Sprache für einen Virus, der womöglich aus dem Weltraum über die Menschheit gekommen war. Daraus entwickelte er die Haltung: "Wenn Sprache Denken ist, kann die Arbeit des Schreibers nicht vor dem Denken halt machen!"
"Am Anfang war das Wort und das Wort war Gott" steht auch irgendwo in einem seiner Bücher. Am Anfang wovon war das Wort, von dem alles anfing?
Kam das geschriebene vor oder nach dem gesprochenen Wort?
Das waren Fragen, die ihn umtrieben und auch uns, die Nach-Kriegs-Geborenen. Immerhin war es gerade erst 10, 15 oder 20 Jahre her, dass einer der verheerendsten Kriege der Menschheitsgeschichte die Welt in Schutt und Asche gelegt hatte.
In seinen Büchern beschreibt Burroughs sehr gut die Mechanismen von Sprache und Macht, vor allem wie sich die Macht der Sprache bedient. Er zeigt, wie Sprache zur Manipulation verwendet wird, nicht erst bei den Eroberungs-Feldzügen auf dem europäischen Kontinent oder bei der Kolonialisierung der Neuen Welt.
In The Job, einem Interview, das Daniel Odier einmal mit Burroughs führte, sagt er: "Hat ein Problem einmal das politisch-militärische Stadium erreicht, ist es bereits unlösbar."
Angesichts des Bürgerkriegs in Syrien und der Bürgerproteste in der Ukraine erlangt diese mehr als fünfzig Jahre alte Erkenntnis des Underground-Beatniks brisante Aktualität.
Damals wurde er für viele seiner Ansichten gescholten, gar für paranoid abgestempelt.
Etwa, wenn er - wie in den 1970ern geschehen - die globalisierte Welt phantasierte. Viele hielten das damals für reine Fiktion oder für die Wahnvorstellungen eines Junkie.
"Die Herrschenden werden Wege finden, die Menschen zu kontrollieren…. auf jede erdenkliche Weise…", schrieb er damals und "man erfindet eine Bedrohung, um sofort wieder eine Rechtfertigung zu haben, etwas - ein Tun - einschränken zu können." Vor dem Hintergrund der aktuellen NSA-Bespitzelung erscheinen mir viele seiner fünfzig, sechzig Jahre alten Gedanken beinahe wie prophetische Weissagungen, die zu seiner Zeit keine[r] glauben wollte - außer seinen Jüngern, seinen Anhängern, die sich rund um den Erdball verteilten.
Damals wie heute lesen sich viele seiner Texte wie Tripps durch Zeit und Raum! Und wenn Schriftsteller Raum-Zeit-Reisen unternehmen, dann können sie doch gar nicht anders, dann müssen sie Techniken entwickeln die auch diesem Zeitalter [damals war es das der Raumfahrt] entsprechen!
Gerade die Bücher seiner Cut-up-Trilogie - Softmachine, Nova Express und the ticket that exploded - lesen sich wie Forschungsberichte, in denen utopische Welten und fremdartige Realitäten aufbrechen. Es sind Reiseberichte in unerforschte, nicht vermessene Landschaften innerer und äußerer Sprachräume. Diese Reisen führen Burroughs in immer differenziertere Gebilde von Machtstrukturen. In seinen Büchern legt er dar, wie Machtgebilde konstruiert werden könn[t]en. Damals wie heute gruselig zu lesen. Heute, weil einem beim Lesen Beispiele aus der globalen Gegenwartswelt einfallen.
Mich fröstelt...
...beim Gedanken daran…
Beim Durchblättern und Hineinlesen in das eine oder andere Buch an diesem - Burroughs Geburts- Tag wird mir plötzlich klar, warum der Buchtitel "Radiert die Worte aus!" genial gewählt ist:
Nicht nur von diesem kleinen Schweizer Verlag, der - die Globalisierung lässt schön grüßen - selbst schon längst zu einer großen Verlagsgruppe, dem Hanser in München, gehört.
Sondern es war Burroughs selbst, der im oben erwähnten Brief am 19. August 1968, aus London, an den Cut-up-Komplizen in Tanger schrieb: "Zum ersten Mal habe ich es wirklich geschafft die Worte auszuradieren."
Liebe Leserinnen und Leser,
wer "phantastische" [;-)] Literatur mag, für den lohnt sich, wieder einmal diesem Sprach-Eremiten nachzugehen:
in die Welt seiner Briefe hinein- und in die Werke seiner Atlantis ähnlichen Welt hinab zu tauchen!
...und nicht nur,
weil er am 5. Februar seinen 100. Geburtstag [ge]ha[b]t [hät]te...
Teresa HzW - 6. Feb, 07:28 - Rubrik [Post]Moderne
http://www.bersarin.de/death-smells/
Danke für die Blumen ...
Ehrensache...
Ist er doch nicht ganz unschuldig an meinem Bloggerleben ;-)) - ohne dies nun zu vertiefen, denn dazu wäre es erforderlich, sich in die Anfänge meines Ur-Blogs Wi[e]der[W]orte zu begeben ;-)
Jedenfalls staunte ich wieder einmal, was für ungewöhnliche Blog[ger]-Nachbarn Sie kennen und bin gern der ausgelegten Fährte gefolgt, um ein neues, interessantes Blog zu entdecken, auf dem ich mich - ebenfalls - soeben mit einem kleinen Kommentar beim Burroughs-Eintrag verewigte! :-)