BVerfGE: "Hugh!"

Mit Genugtuung jedoch auch mit Stirnrunzeln habe ich das gestrige "Euro-Urteil" unseres höchsten Gerichts, dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG), zur Kenntnis genommen. Mit Genugtuung, da das Gericht sehr deutlich dem gewählten Personal deutlich machte, dass es – Achtung! Werte Damen und Herren Politiker[innen] in höchsten Ämtern – bei Verträgen, die man zu schließen gewillt, auch um Klarstellung geht, vor allem, wenn man der Zahlmeister ist. Ein altes Sprichwort sagt bereits: "Wer zahlt schafft an!" Da ist es doch mehr als logisch, dass man seine eigene Haftungs-Höchstgrenze in einem solchen Vertrag festschreibt bzw. im Vertrag wenigstens eine Fußnote an entsprechender Stelle aufnimmt, dass der zu verbürgende Betrag die absolute Höchstgrenze darstellt.

Es entsetzt mich und lässt sehr, sehr tief in die [fehlenden!?] [Fach]Kompetenzen hinein blicken, wenn keine[r] aus dem höchstamtlich eingesetzten Personal, das zu erkennen in der Lage!
Ich frage mich, ob Gauweiler, Däubler-Gmelin und der "Mehr Demokratie“-Verein nun bei allen für Deutschland wichtigen Verträgen vors höchste Gericht ziehen müssen, damit der dortige zweite Senat unserem Personal sagt, wie man für unsere Nation wichtige Verträge verhandelt!?
Was wäre eigentlich passiert, wenn Gauweiler, Däubler-Gmelin und der Demokratie-Verein mit den 37.000 Unterstützern im Rücken ihren mutigen Schritt nach Karlsruhe nicht getan hätten?

Naja… ich will lieber nicht in die Glaskugel sehen, stattdessen Ihren Blick, liebe Leserinnen und liebe Leser, an diesem Morgen, an dem uns wieder die süddeutsche Sonne vom Himmel lacht, auf Handfesteres lenken, auf wichtige Fakten, die unsere Demokratie dank Bundesverfassungsgericht mit geformt haben.

Mit Verlaub gedacht, halte ich das gestrige "Euro"-Urteil für eines, das in die Geschichte eingehen wird.
Ich habe mir nach der Urteilsverkündung, die ich live zwischen ARD und Phoenix hin- und her switchend den halben Tag verfolgte [jaja, ich bin doch eine politisch interessierte Staatsbürgerin, wie meine Stammleser[innen] wohl wissen ;-)], überlegt, welche Urteile des Bundesverfassungsgerichts sich in der kurzen Zeit meines Lebens nachhaltig in meinem Hinterstübchen festsetzten.

Ich bin dabei auf drei – für mich [wohlgemerkt!] bedeutsame – Urteilsgruppen gestoßen, die ich hier in den Wi[e]der[W]orten aus "historisch[aktuell]em“ Anlass einfach für meine persönliche Lebenschronik[sche Erinnerung] fest[ge]halten [wissen] möchte.

Historische Urteile des BVerfG

1. Die Rundfunkurteile des BVerfG

Allen voran die rundfunkpolitischen Grundsatzentscheidungen der 1980er und 1990er Jahre, insbesondere das sog. dritte[BVerfGE 57, 295] und vor allem vierte [BVerfGE 73, 118] Rundfunkurteil.
Beide Urteile bilden zusammen das Fundament für unser duales Rundfunksystem – das heißt sie sichern das [gleichzeitige!] Bestehen von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk.
Im vierten [wie weiterführend auch fünften[BVerfGE 74, 297] und sechsten[BVerfGE 83, 238]] Rundfunkurteil wurde zudem die [Bestands]Garantie der öffentlich-rechtlichen Grundversorgung festgeschrieben.
Details zum 4. Rundfunkurteil siehe auch http://de.wikipedia.org/wiki/4._Rundfunk-Urteil
Eine sehr gute Zusammenfassung zu allen - bis dato elf - Rundfunkurteilen gibt es als pdf von zwei Professorinnen, hier zu finden:
http://www.miscellania.de/Webimages/Rundfunkurteile.pdf


2. Die Entscheidungen zum Atomrecht und zur Kernkraft

Der sog. "Kalkar-Beschluss“ [BVerfGE 49, 89 = sog. Kalkar I] – die Leitentscheidung des BVerfG aus dem Jahr 1978 zur Reichweite des Parlamentsvorbehalts und zum Grundrechtsschutz vor Gefahren durch kerntechnische Anlagen.
Dieses Urteil war und ist höchst bedeutsam wegen des Hintergrunds der damals aufkommenden sog. „Brütertechnologie“ und der politischen Absichten, einen sog. „schnellen Brüter“ in Kalkar zu genehmigen sowie der damals dann aufkommenden Anti-AKW-Bewegung.
Es war damals übrigens ein ortsansässiger Bauer, der den Mut zur Verfassungsklage aufbrachte. Er führte einen Kilometer vom Standort des zu genehmigenden Kernkraftwerks entfernt seinen Betrieb. „Kalkar“ ging übrigens nie ans Netz. Der Kalkar-Beschluss ist heute noch wichtig, weil er verfassungsrechtliche Grundsatzfragen beantwortet, die sich im Umweltrecht immer wieder stellen: Wie detailliert muss das Parlament umweltgefährdende Technik regulieren? Wie intensiv ist die gerichtliche Kontrolle der Risikoentscheidungen der Exekutive? Wie weit reicht die Schutzpflicht des Staates aus Art 2 II 1 GG zu Gunsten betroffener Nachbarn?
Hier finden Sie Details zum Nachlesen:
http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv049089.html
Etwas verständlicher hier:
http://www.ja-aktuell.de/cms/website.php?id=/de/studium_referendariat/klassiker/2_bvl_8-77.htm


3. Der sog. Extremisten-Beschluss von 1975

Im Gegensatz zu den beiden eben genannten Gruppen wird dieser Bereich den jüngeren Leser[innen] von Wi[e]der[W]orte vermutlich nichts sagen.
Es handelt sich hier um Grundsatzurteile zu den Rechten und Pflichten im öffentlichen Dienst, die in den 1970er Jahren vor dem Hintergrund der damals oftmals ausgesprochenen sog. Berufsverbote, die den älteren Leser[innen] noch gut als sog. "Radikalenerlass“ im Gedächtnis sein werden, zu sehen sind.
Diese Urteilsgruppe ist vor allem vor dem Hintergrund der damaligen Terroristischen RAF und der politischen Besorgnis, der öffentliche Dienst könne von "subversiven“ Elementen unterwandert werden, zu sehen.
Allerdings: Sowohl wegen der Äußerungen von politischem Personal wie auch des aktuellen NSU-Untersuchungsausschusses halte ich diese Gruppe auch heute noch für interessant. Man könnte sich vor dem Hintergrund dieser Urteile nämlich durchaus die kritische Bürger[innen]frage stellen, ob der Verfassungsschutz Leute als V-Männer[Frauen] "anwerben" darf, die einen der im früheren Radikalen-Erlass oder einen der im Extremisten-Beschluss fest geschriebenen und bis dato [immer noch!] gültigen Grundsätze verletzen!?
Details zu dem sog. "Extremisten-Beschluss“, aus dem Jahr 1975 [BVerfGE 39, 334] und zu den von der damaligen [SPD]-Regierung beschlossenen Berufsverboten( besser bekannt unter dem Begriff „Radikalenerlass“ ) siehe: http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv039334.html#
Zum „Radikalenerlass“ siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Radikalenerlass
Die Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst (Beschluss der Regierungschefs der Bundesländer und Bundeskanzler Willy Brandts vom 28. Januar 1972) finden Sie unter http://www.berufsverbote.de/hinterg.html

Sodele... und damit hätte ich auch mal wieder etwas für die staatsbürgerliche Information meiner Leserinnen und Leser getan, nicht wahr ;-)))
2184 mal gelesen
Robert (Gast) - 13. Sep, 12:53

Gehen Sie in Ihrem Eingangskommentar nicht zu hart mit der Politik ins Gericht? Ich bitte Sie, zu bedenken, dass keiner von uns weiß, welchen diplomatischen Zwängen die Damen und Herren auf europäischem Verhandlungsparkett unterliegen!

Teresa HzW - 14. Sep, 10:18

Kuscheln der Diplomaten

Bei 190 Mrd Euro Belastung fürs eigene Volk, also uns[und die Kindeskinder-]Steuerzahler, hört der diplomatische Spaß auf! Außerdem bitte ich Sie, lieber Robert, wiederum zu bedenken, dass unser politisches Personal nicht fürs Kuscheln auf europäischem Parkett bezahlt wird!
Margit (Gast) - 14. Sep, 12:08

Ich gebe Frau T. recht, da wird auf deutschem Steuergeld gekuschelt. Die anderen Staaten, besonders die Euro-ESM-Bittsteller, treten mit einer Chuzpe auf, daß man sich fragt: Wer hat eigentlich das Sagen? Nicht Demut, sondern freche Verweigerungshaltung wird gezeigt. Wie bei den Spaniern, die Geld wollen und im gleichen Atemzug sagen, an Eure Spielregeln des Sparens halten wir uns nicht, wenn wir es kriegen. Wo sind wir denn? Das Karlsruher Urteil ist zu weich.
Robert (Gast) - 14. Sep, 13:37

Verehrte Damen, den Kuschelfaktor gestehe ich Ihnen zu, das diplomatische Geschick lässt sich auf Dauer nicht von Karlsruhe aus regeln.

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