Der Guru
Gestern. Beim Friseur.
Ich saß wegen der [vor]weihnachtlichen Verschönerungsprozedur.
Sanfte Klavierklänge waberten durch den kleinen Raum, in dem die Meister der Schere einem zwischenzeitlich ebenfalls sehr einträglichen Geschäft ihrer Zunft nachgehen: Dem zu Typ, Trend und Jahreszeiten passenden farblichen Styling.
Denn - längst vorbei sind die Zeiten, in denen man aus einem halben Dutzend Farbtuben den für einen passenden Farbton auswählte. Heute wird auf das Gramm genau gemixt: 2 Prozent Cyan, 10 Prozent Magenta, 51 Prozent Gelb – wobei im Coiffeur-Sprech das natürlich nicht so profan sachlich klingt, wie es nun hier geschrieben steht. Dort klingt es viel poetischer: madder root; mauve, red shade, earth moon. Und weil Farbe nicht gleich Farbe ist, wählt Frau – und jaa-haaa – mittlerweile auch Mann – natürlich solche, die „hochprozentig aus natürlich gewonnenen Inhaltsstoffen bestehen“ und so klingende Namen tragen wie „Shell Powder“ oder „Flower Powder“. Mit Aromen aus reinen Blumen- und Pflanzenessenzen wie Lavendelöl, die „beruhigend, besänftigend und entspannend wirken“ – wenn man den werbenden Worten des Haarmeisters Glauben schenken mag.
Wie dem auch sei und gleich welcher Philosophie – der klassisch färbenden oder der sanft-natürlichen – man anhängt. Gestern scheint vielen nach etwas mehr Farbe auf dem Kopf in diesen winterlich-grauen Tagen gewesen zu sein. Jedenfalls war in meines Friseur`s Geschäft am späten Vormittag jeder Verschönerungs-Platz besetzt. Bis auf einen – der neben mir!
Der Meister des Farbenspiels zauberte bereits in meinem Haupthaar herum. Wir plauderten über dies und das und der „Herbal Comforting Tea“, der hier mit zur Zeremonie gehört, tat bereits seine entspannende Wirkung und versetzte mich in jenes Urlaubsgefühl, das ich stets verspüre, wenn ich hierher komme, eine Weile sitze und mich dem Zauber dieses Ortes hingebe.
Ich saß also ganz entspannt im Dort und Jetzt, als Bewegung in den Raum kam und ein – wie mir schien – junges Paar neben mir Platz nahm, d.h. „E R“ setzte sich auf den Verschönerungsstuhl und ihr rückte die andere Meisterin ihres Fachs flugs einen Besucher-Sessel neben ihm zurecht.
Wahrscheinlich hätte ich die Beiden gar nicht weiter beachtet, hätte – wie üblich und wie es meist alle hier tun – nur kurz aufgemerkt, freundlich zum Gruß der und dem andere[n] zugenickt und mich wieder dem Meinigen und meinem Haarmeister zugewandt, wenn da nicht diese auffällige optische Hutbekleidung des Mannes gewesen wäre.
Sein Kopf war nämlich völlig eingehüllt von einer bunten Strickmütze wie sie hier in Stuttgart und der Region vor allem in jüngeren Künstlerkreisen, vornehmlich Musikerkreisen – den jungen Popmusikstudenten oder solchen, die Musikstars werden wollen – getragen werden: Häkelmützen, die mir auch schon bei anderen jungen Menschen aufgefallen sind. Dann allerdings in meiner Waldheimat. Also einige Hundert Kilometer entfernt getragen werden. Dort jedoch einfach nur, um auszudrücken, dass man anders ist: Also „eigen“ – ständig, „eigen“ – willig, „eigen“ im Sinne von originell, urwüchsig, ur-ständig bodenständig bajuwar, „oafach“ O R I G I N A L [geblieben] ist!
Von dort kommt sie eigentlich auch her… jene Häkelmütze, die jedermann, nicht nur Frau, an einem Sonntagnachmittag flugs selber gehäkelt hat und dessen Häkel-Set nebst Wolle, Nadel und Anleitung alle, die ihre Originalität zum Ausdruck bringen wollen, nicht nur im Internet, sondern mittlerweile auch in dem letzt verbliebenen deutschen Kaufhaus erstehen können:
die sogenannte MyBoshi-Mütze – die zwei findige Bajuwaren… okay, okay – Sie, liebe Leser:innen, die Sie Insider sind, werden mich korrigieren und zurecht einwerfen:
„DAS sind doch gar keine Waidler! Die Erfinder dieser Mütze sind doch eigentlich Franken!“
Und „ja“ – mit dieser Aussage hätten Sie auch recht!
Doch im fe[indliche]r[n]en Ausland steckt man halt gern alle in einen geographischen Topf. Zumal, wenn die geografischen Ausläufer zwischen diesen beiden geografischen Räumen aneinander angrenzend sind [weil fließend ineinander übergehend - wollte ich mir als Ausdruck nun doch verkneifen! ;-)]
Jedenfalls dachte ich beim Anblick jener trendigen Mütze an einen Musiker und überlegte, wer da neben mir wohl mit seinem „Groupie“ Platz nehme…
zumal die Beiden auch ein ziemlich kauderwelsches Englisch miteinander sprachen und der junge Mann sich wieder erhebend, seine Geldbörse zückend, in dessen Tiefen kramend, ein winziges Zettelchen hervorholend, der Haarmeisterin sagte, er brauche:
„Only colour!“ – also nur Farbe!
Und er habe aufgeschrieben wie sich die Rezeptur seiner Farbe zusammensetze: „ Five Gramm… sowieso… Twentyone Gramm….“
Woraufhin die Meisterin anmerkte, ob sie den Zettel kurz haben könne, andernfalls würde sie es gern notieren, da der junge Mann gewiss sechs oder sieben verschiedene Ingredienzien nannte.
Außerdem meinte sie: „Can I see your hair?“
Ausgerechnet da musste ich mich jedoch von meinem Platz erheben, um zum Waschbecken hinüber zu wechseln. Das passte mir natürlich überhaupt nicht, wollte ich doch unbedingt wissen, wie denn der junge Mann von vorne aussah.
Also erhob ich mich etwas umständlich von meinem Schönheitsthron, trippelte um ihn herum und kam just in dem Augenblick an dem Ausländer vorbei, als er seine Mütze lupfte, den Kopf kurz schüttelte und mich unvermittelt ansah. Wiewohl er ja auch woanders hinschauen hätte können.
Zum Beispiel - in den gegenüber befindlichen Spiegel.
Oder auf den Stuhl, weil er stand ja immer noch und hatte sich seit er der Haarmeisterin sein Farbrezept ansagte, nicht mehr hingesetzt.
Er hätte auch die Friseurmeisterin oder seine junge Freundin, die allerdings so jung nun auch nicht mehr war, anblicken könnte.
ABER - "N E I N !"
ER blickte mir in die Augen.
Unvermittelt. Direkt.
Nun hatte ich – leider nicht – wie üblich – meine dicke Hornbrille auf der Nase und sah also nur verschwommen in die Richtung, in der ich die Augen meines Gegenübers vermutete. Zudem türmte sich mein Haupthaar zu einer dicken, kupferfarbenen Masse in die Höhe, die äußerst streng nach einer Tinktur aus Rosmarin, Thymian, Baldrian und Salbei roch. Also alles andere als ein idealer Moment, in dem man einem anderen Menschen, noch dazu des anderen Geschlechts, gern einen tiefen, tiefen Augen-[Ein]Blick schenkt!
Jedenfalls genügte dieser Bruchteil einer Millisekunde.
Jedenfalls mir, um zu erkennen, dass es sich hier nicht um einen jungen Mann in den „Twentysomethings“ handelte, sondern um einen verlebten Vierziger, der entweder mit einem heftigen Sonnenbrand aus der intensiven Sonneneinstrahlung irgendeines hitzigen Südens kam oder unter massiven Bluthochdruck litt, weil sein Hals und fast das gesamte Gesicht, zumindest seitlich zum Ohr hin verlaufend blutrot gefärbt war.
Zurück am Schönheitsplatz mit umwickeltem, schwarzen Frotteehandtuch am Kopf, das ich gar nicht leiden kann, weil es mein Gesicht winters jene blass-bleiche Tönung verleiht, bekam ich dann durch die Dämpfung des Stoffes immerhin noch die Frage der Friseurmeisterin mit, die gerade angefangen hatte, die Mixtur auf des Mannes Kopf aufzutragen:
„… and where are you from?“
„…Los Angeles…“
„Oha!“ – dachte ich mir und wagte einen kurzen Seitenblick in den Spiegel hinüber, bei dem mir wieder der Blick dieses anderen begegnete.
„Und was machen Sie hier? Bei uns?“ – fragte mit ungläubigem Unterton in der Stimme die Friseurin?
Dieses Mal jedoch an die Begleiterin gewandt.
Stattdessen antwortete der Amerikaner, der anscheinend wohl doch die deutsche Sprache – zumindest – passiv – ein wenig zu verstehen schien.
„… on a seminar for [h i e l i n g]!“ – schnappte ich auf.
„Hmmm…. [ h i e l i n g ]!?“ – dachte ich mir.
Das hat sicher nichts mit jenem spitz zulaufenden Damenschuh zu tun, in denen unsereine kaum laufen kann, die jedoch bei den jungen Frauen höchst beliebt sind.
Ist damit nicht das Wort „healing“ gemeint?
Was heißt das gleich nochmal?
„Heilen?“ - Ob wohl eine Gesundheitsmesse ist? Drunten in der Schleyerhalle? Oder oben am Flughafen - bei der neuen Landesmesse?
Meine Gedanken gingen spazieren – während nebenan die Amerikaner wissen wollten, ob und wo es am gleichen Tag abends ein Jazzkonzert gebe?
„Aaahhh… Jazz!“ – mein Augenpaar wanderte erneut hinüber zum Nachbarspiegel.
Dort steckten die beiden Fremden ihre Köpfe über ihren iPhones zusammen und googelten nach der Location, die ihnen die Friseurmeisterin nannte: Das BIX.
Stuttgarts [aktuell immer noch] angesagter Jazzclub, der nach dem Jazz-Trompeter Bix Beiderbecke benannt ist, und im Anbau des Gustav-Siegle-Hauses, bei der gleichnamigen Kirche, im Herzen der Landeshauptstadt residiert. Internationale Jazzgrößen und funkig-poppige Mainstream-Acts geben sich hier fünf Tage die Woche genauso ein Stelldichein wie unbekannte, junge Talente. Fast jeden Dienstag präsentieren Studenten der Musikhochschule Stuttgart aus den Studiengängen Jazz und Pop ihre eigenen Programme.
„So… enough time…“ – vernahm ich einen Wortfetzen von nebenan.
Offensichtlich war Mann der Website und des Programms fündig geworden, außerdem erfuhr unsereins, dass ER bis Dienstag mit „healing“ beschäftigt sei und man erst am Mittwoch wieder zurückfliegen würde…
„… und wie geht`s ALTER EGON“ – fragte mich just in meine Ablenkung hinein mein Haarmeister… und ich ward herausgerissen aus meinen und der fremden Gedankengänge… während der Altmeister seines Fachs weiter an meinem Haar herum zauberte und nun mit dem Kamm an verschiedenen Stellen eine weiße Tinktur aufbrachte und meinte, vielleicht weil ich zwischendurch auf die Uhr blickte: „Das muss jetzt etwa zehn Minuten einwirken!“
„Was für eine Prozedur!“ – seufzte ich. Doch das hörte er schon nicht mehr, war er doch hinweg geeilt, um den Wecker zu holen, um die Einwirkzeit einzustellen.
Da vis-a-vis auf der anderen Seite der Föhn rauschte, griff ich mir eine der beiden Lifestyle-Zeitschriften, die vor mir lagen und blätterte in den großformatigen Seiten mit den Hochglanzfotos von modernen Häusern und dem Innenleben der darin wohnenden Reichen, Schönen und Stylish People dieser Welt: Architekten und Designer, Stars und neuerdings auch Ölbarone aus dem fernen Osten. Ich betrachtete nur die Fotos, denn zum Lesen der Artikel, die Ambiente, Material und vor allem die Bau- und Einrichtungs-Philosophie dieser Häuser und Wohnungen beschreiben, fehlte mir gestern die Muse.
Außerdem ward ich schon wieder abgelenkt, weil sich der Herr neben mir in nörgelndem Ton über das Hotel, in dem man ihn untergebracht hatte, beschwerte: Es sei zweifelslos das schönste Flughafenhotel, in dem er je auf dieser Welt gewohnt hätte. Jedoch… was habe seine Mitarbeiter geritten, ihn dort unterzubringen… und er beklagte, dass er abends nirgendwo hingehen könne, weil es dort nichts gäbe… das Hotel - es sei ab vom Schuss… und auf seine Frage, warum man ihn nicht in der Stadt untergebracht hätte, antwortete die Schöne neben ihm, da hätte das Team nicht mit im selben Hotel sein können, weil alles ausgebucht sei. Man hätte sich dann auf mehrere Hotels verteilen müssen…
Da antwortete ER sehr unwirsch: „What the hell….“
Und warum sie dann nicht gleich eine ganze Etage gemietet hätten… woraufhin sie einwarf, das sei nicht gegangen… es sei doch nichts mehr frei gewesen und er… „What?“
Und da schwieg sie und darauf er:
„Na und… dann hätte das eben 60.000 oder 100.000 Dollar gekostet!“ Aber er wäre in der Stadt gewesen… und nicht ab vom Schuss…
UND so ging das dann… fünfzehn Minuten lang… das Gemeckere über das HOTEL und seine ungünstige Lage...
während ich saß und die weiße Tinktur einwirkte… und ich konnte nicht flüchten… und musste mir das Genöle einer männlichen Diva mit anhören…
Und ich bewunderte die junge Frau, die mit einem Schlag ihre Groupie-Aura verloren und sich zwischenzeitlich als deutsche Mitarbeiterin des "Seminar"-Veranstalters entpuppte, die ihn während seines Stuttgarter Aufenthalts zu betüteln hatte… da sie permanent telefonierte, um seine „orders“ zu erfüllen – wohlwollend könnte man sagen „Wünsche“ - gehässig gesprochen „Befehle": ein weiteres Kännchen „herbal comforting tea“ für ihn… ein Taxi, das Beide anschließend zum weihnachtlichen Mittelaltermarkt nach Esslingen bringe… da er danach fragte, was es Besonderes zu sehen gäbe… woraufhin die Friseurmeisterin diesen Weihnachtsmarkt empfahl.
Derweil hatte die Mitarbeiterin des Amerikaners immer wieder „Orders“ an das „Office“ durch zu geben, die derweil die „Location“ herrichteten – den Veranstaltungsort, an dem er dann seine „Healings“ durchführte - zum Preis von fast 1400 Euro (für alle Tage!) oder -wenn man nur das Wochenende buchte- für 600 Euro oder für 35 Euro, wenn man nur den Freitagabend-Vortrag buchte.
Immer wieder begegneten sich unsere Blicke im Spiegel, wobei ich jedoch die Lesende mit Konzentration auf meine Hochglanzzeitung mimte…
Erst dann beim Hinausgehen schenkte ich dem Heiler aus dem transatlantischen Westen einen letzten, kurzen Blick – aber auch nicht mehr!
„Lässt der sich nun graue Strähnen in sein – gewiss nicht mehr echtes – schwarzes Haar färben?!“ - überlegte ich,
während ER mich erneut sehr direkt und unvermittelt aus dem Spiegel heraus mit seinem Blick förmlich durchbohrte.
Doch da trug ich dann wieder meine rotbraune Hornbrille und konnte mir den Herrn genauer besehen und einprägen, um hinterher zu googeln, WELCHER Guru denn da in der schwäbischen Provinz für den Augenblick einer Stunde den gemeinsamen Raum mit mir teilte?
Und siehe da…
es scheint tatsächlich ein Star der amerikanischen Gesundheits-Szene gewesen zu sein…
...UND ALTER EGON…
meinte dann… als ich ihm Stunden später bei einem Glas deutschen Hopfentees von dieser Begegnung erzählte und seine Katze mit selbigen magischen Blick zu hypnotisieren suchte, mit der mir der amerikanische Heiler beim Hinausgehen nachstarrte.
„Der hat Dich wohl mit seiner mystischen Heilkraft verzaubert, denn Du gehst heute viel aufrechter und gerader als sonst….“ - meinte Alter Egon. Tatsächlich?
Lag das wirklich an den „heilenden Händen“ des kalifornischen Chiropraktikers, wie er sich gugelnder Weise entpuppte? Deren Heilkraft, wie seine Patienten berichten, „sich verströmt, obwohl er sie gar nicht körperlich berührt“. Immerhin hätten diese ihm „wundersame Heilungen von Krebs, von Krankheiten in Verbindung mit Aids, Epilepsie, chronischem Müdigkeitssyndrom, rheumatoider Arthritis und Osteoarthritis, und anderen schweren Leiden“ vemeldet. All das sei geschehen, „wenn Eric seine Hände in ihre Nähe hielt - und es setzt sich bis heute fort“ - so liest es mir Alter Egon vor, der es sich nicht nehmen ließ, über meine Begegnung im Internet nach zu recherchieren, während wir dem gesunden Hopfentee frönten.
„Na… dann waren das aber mehr die Augen…. als die Hände…“ - erwiderte ich und konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, als ich noch sagte: „Oder die tägliche Gymnastik tut endlich ihre Wirkung!?“
In diesem Sinne:
Allseits - allen Leserinnen und Leser-Kommentator[:inn]en -
einen schönen Nikolaustag!
;-)
wünscht Ihnen/Euch
Teresa :-)
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Ich saß wegen der [vor]weihnachtlichen Verschönerungsprozedur.
Sanfte Klavierklänge waberten durch den kleinen Raum, in dem die Meister der Schere einem zwischenzeitlich ebenfalls sehr einträglichen Geschäft ihrer Zunft nachgehen: Dem zu Typ, Trend und Jahreszeiten passenden farblichen Styling.
Denn - längst vorbei sind die Zeiten, in denen man aus einem halben Dutzend Farbtuben den für einen passenden Farbton auswählte. Heute wird auf das Gramm genau gemixt: 2 Prozent Cyan, 10 Prozent Magenta, 51 Prozent Gelb – wobei im Coiffeur-Sprech das natürlich nicht so profan sachlich klingt, wie es nun hier geschrieben steht. Dort klingt es viel poetischer: madder root; mauve, red shade, earth moon. Und weil Farbe nicht gleich Farbe ist, wählt Frau – und jaa-haaa – mittlerweile auch Mann – natürlich solche, die „hochprozentig aus natürlich gewonnenen Inhaltsstoffen bestehen“ und so klingende Namen tragen wie „Shell Powder“ oder „Flower Powder“. Mit Aromen aus reinen Blumen- und Pflanzenessenzen wie Lavendelöl, die „beruhigend, besänftigend und entspannend wirken“ – wenn man den werbenden Worten des Haarmeisters Glauben schenken mag.
Wie dem auch sei und gleich welcher Philosophie – der klassisch färbenden oder der sanft-natürlichen – man anhängt. Gestern scheint vielen nach etwas mehr Farbe auf dem Kopf in diesen winterlich-grauen Tagen gewesen zu sein. Jedenfalls war in meines Friseur`s Geschäft am späten Vormittag jeder Verschönerungs-Platz besetzt. Bis auf einen – der neben mir!
Der Meister des Farbenspiels zauberte bereits in meinem Haupthaar herum. Wir plauderten über dies und das und der „Herbal Comforting Tea“, der hier mit zur Zeremonie gehört, tat bereits seine entspannende Wirkung und versetzte mich in jenes Urlaubsgefühl, das ich stets verspüre, wenn ich hierher komme, eine Weile sitze und mich dem Zauber dieses Ortes hingebe.
Ich saß also ganz entspannt im Dort und Jetzt, als Bewegung in den Raum kam und ein – wie mir schien – junges Paar neben mir Platz nahm, d.h. „E R“ setzte sich auf den Verschönerungsstuhl und ihr rückte die andere Meisterin ihres Fachs flugs einen Besucher-Sessel neben ihm zurecht.
Wahrscheinlich hätte ich die Beiden gar nicht weiter beachtet, hätte – wie üblich und wie es meist alle hier tun – nur kurz aufgemerkt, freundlich zum Gruß der und dem andere[n] zugenickt und mich wieder dem Meinigen und meinem Haarmeister zugewandt, wenn da nicht diese auffällige optische Hutbekleidung des Mannes gewesen wäre.
Sein Kopf war nämlich völlig eingehüllt von einer bunten Strickmütze wie sie hier in Stuttgart und der Region vor allem in jüngeren Künstlerkreisen, vornehmlich Musikerkreisen – den jungen Popmusikstudenten oder solchen, die Musikstars werden wollen – getragen werden: Häkelmützen, die mir auch schon bei anderen jungen Menschen aufgefallen sind. Dann allerdings in meiner Waldheimat. Also einige Hundert Kilometer entfernt getragen werden. Dort jedoch einfach nur, um auszudrücken, dass man anders ist: Also „eigen“ – ständig, „eigen“ – willig, „eigen“ im Sinne von originell, urwüchsig, ur-ständig bodenständig bajuwar, „oafach“ O R I G I N A L [geblieben] ist!
Von dort kommt sie eigentlich auch her… jene Häkelmütze, die jedermann, nicht nur Frau, an einem Sonntagnachmittag flugs selber gehäkelt hat und dessen Häkel-Set nebst Wolle, Nadel und Anleitung alle, die ihre Originalität zum Ausdruck bringen wollen, nicht nur im Internet, sondern mittlerweile auch in dem letzt verbliebenen deutschen Kaufhaus erstehen können:
die sogenannte MyBoshi-Mütze – die zwei findige Bajuwaren… okay, okay – Sie, liebe Leser:innen, die Sie Insider sind, werden mich korrigieren und zurecht einwerfen:
„DAS sind doch gar keine Waidler! Die Erfinder dieser Mütze sind doch eigentlich Franken!“
Und „ja“ – mit dieser Aussage hätten Sie auch recht!
Doch im fe[indliche]r[n]en Ausland steckt man halt gern alle in einen geographischen Topf. Zumal, wenn die geografischen Ausläufer zwischen diesen beiden geografischen Räumen aneinander angrenzend sind [weil fließend ineinander übergehend - wollte ich mir als Ausdruck nun doch verkneifen! ;-)]
Jedenfalls dachte ich beim Anblick jener trendigen Mütze an einen Musiker und überlegte, wer da neben mir wohl mit seinem „Groupie“ Platz nehme…
zumal die Beiden auch ein ziemlich kauderwelsches Englisch miteinander sprachen und der junge Mann sich wieder erhebend, seine Geldbörse zückend, in dessen Tiefen kramend, ein winziges Zettelchen hervorholend, der Haarmeisterin sagte, er brauche:
„Only colour!“ – also nur Farbe!
Und er habe aufgeschrieben wie sich die Rezeptur seiner Farbe zusammensetze: „ Five Gramm… sowieso… Twentyone Gramm….“
Woraufhin die Meisterin anmerkte, ob sie den Zettel kurz haben könne, andernfalls würde sie es gern notieren, da der junge Mann gewiss sechs oder sieben verschiedene Ingredienzien nannte.
Außerdem meinte sie: „Can I see your hair?“
Ausgerechnet da musste ich mich jedoch von meinem Platz erheben, um zum Waschbecken hinüber zu wechseln. Das passte mir natürlich überhaupt nicht, wollte ich doch unbedingt wissen, wie denn der junge Mann von vorne aussah.
Also erhob ich mich etwas umständlich von meinem Schönheitsthron, trippelte um ihn herum und kam just in dem Augenblick an dem Ausländer vorbei, als er seine Mütze lupfte, den Kopf kurz schüttelte und mich unvermittelt ansah. Wiewohl er ja auch woanders hinschauen hätte können.
Zum Beispiel - in den gegenüber befindlichen Spiegel.
Oder auf den Stuhl, weil er stand ja immer noch und hatte sich seit er der Haarmeisterin sein Farbrezept ansagte, nicht mehr hingesetzt.
Er hätte auch die Friseurmeisterin oder seine junge Freundin, die allerdings so jung nun auch nicht mehr war, anblicken könnte.
ABER - "N E I N !"
ER blickte mir in die Augen.
Unvermittelt. Direkt.
Nun hatte ich – leider nicht – wie üblich – meine dicke Hornbrille auf der Nase und sah also nur verschwommen in die Richtung, in der ich die Augen meines Gegenübers vermutete. Zudem türmte sich mein Haupthaar zu einer dicken, kupferfarbenen Masse in die Höhe, die äußerst streng nach einer Tinktur aus Rosmarin, Thymian, Baldrian und Salbei roch. Also alles andere als ein idealer Moment, in dem man einem anderen Menschen, noch dazu des anderen Geschlechts, gern einen tiefen, tiefen Augen-[Ein]Blick schenkt!
Jedenfalls genügte dieser Bruchteil einer Millisekunde.
Jedenfalls mir, um zu erkennen, dass es sich hier nicht um einen jungen Mann in den „Twentysomethings“ handelte, sondern um einen verlebten Vierziger, der entweder mit einem heftigen Sonnenbrand aus der intensiven Sonneneinstrahlung irgendeines hitzigen Südens kam oder unter massiven Bluthochdruck litt, weil sein Hals und fast das gesamte Gesicht, zumindest seitlich zum Ohr hin verlaufend blutrot gefärbt war.
Zurück am Schönheitsplatz mit umwickeltem, schwarzen Frotteehandtuch am Kopf, das ich gar nicht leiden kann, weil es mein Gesicht winters jene blass-bleiche Tönung verleiht, bekam ich dann durch die Dämpfung des Stoffes immerhin noch die Frage der Friseurmeisterin mit, die gerade angefangen hatte, die Mixtur auf des Mannes Kopf aufzutragen:
„… and where are you from?“
„…Los Angeles…“
„Oha!“ – dachte ich mir und wagte einen kurzen Seitenblick in den Spiegel hinüber, bei dem mir wieder der Blick dieses anderen begegnete.
„Und was machen Sie hier? Bei uns?“ – fragte mit ungläubigem Unterton in der Stimme die Friseurin?
Dieses Mal jedoch an die Begleiterin gewandt.
Stattdessen antwortete der Amerikaner, der anscheinend wohl doch die deutsche Sprache – zumindest – passiv – ein wenig zu verstehen schien.
„… on a seminar for [h i e l i n g]!“ – schnappte ich auf.
„Hmmm…. [ h i e l i n g ]!?“ – dachte ich mir.
Das hat sicher nichts mit jenem spitz zulaufenden Damenschuh zu tun, in denen unsereine kaum laufen kann, die jedoch bei den jungen Frauen höchst beliebt sind.
Ist damit nicht das Wort „healing“ gemeint?
Was heißt das gleich nochmal?
„Heilen?“ - Ob wohl eine Gesundheitsmesse ist? Drunten in der Schleyerhalle? Oder oben am Flughafen - bei der neuen Landesmesse?
Meine Gedanken gingen spazieren – während nebenan die Amerikaner wissen wollten, ob und wo es am gleichen Tag abends ein Jazzkonzert gebe?
„Aaahhh… Jazz!“ – mein Augenpaar wanderte erneut hinüber zum Nachbarspiegel.
Dort steckten die beiden Fremden ihre Köpfe über ihren iPhones zusammen und googelten nach der Location, die ihnen die Friseurmeisterin nannte: Das BIX.
Stuttgarts [aktuell immer noch] angesagter Jazzclub, der nach dem Jazz-Trompeter Bix Beiderbecke benannt ist, und im Anbau des Gustav-Siegle-Hauses, bei der gleichnamigen Kirche, im Herzen der Landeshauptstadt residiert. Internationale Jazzgrößen und funkig-poppige Mainstream-Acts geben sich hier fünf Tage die Woche genauso ein Stelldichein wie unbekannte, junge Talente. Fast jeden Dienstag präsentieren Studenten der Musikhochschule Stuttgart aus den Studiengängen Jazz und Pop ihre eigenen Programme.
„So… enough time…“ – vernahm ich einen Wortfetzen von nebenan.
Offensichtlich war Mann der Website und des Programms fündig geworden, außerdem erfuhr unsereins, dass ER bis Dienstag mit „healing“ beschäftigt sei und man erst am Mittwoch wieder zurückfliegen würde…
„… und wie geht`s ALTER EGON“ – fragte mich just in meine Ablenkung hinein mein Haarmeister… und ich ward herausgerissen aus meinen und der fremden Gedankengänge… während der Altmeister seines Fachs weiter an meinem Haar herum zauberte und nun mit dem Kamm an verschiedenen Stellen eine weiße Tinktur aufbrachte und meinte, vielleicht weil ich zwischendurch auf die Uhr blickte: „Das muss jetzt etwa zehn Minuten einwirken!“
„Was für eine Prozedur!“ – seufzte ich. Doch das hörte er schon nicht mehr, war er doch hinweg geeilt, um den Wecker zu holen, um die Einwirkzeit einzustellen.
Da vis-a-vis auf der anderen Seite der Föhn rauschte, griff ich mir eine der beiden Lifestyle-Zeitschriften, die vor mir lagen und blätterte in den großformatigen Seiten mit den Hochglanzfotos von modernen Häusern und dem Innenleben der darin wohnenden Reichen, Schönen und Stylish People dieser Welt: Architekten und Designer, Stars und neuerdings auch Ölbarone aus dem fernen Osten. Ich betrachtete nur die Fotos, denn zum Lesen der Artikel, die Ambiente, Material und vor allem die Bau- und Einrichtungs-Philosophie dieser Häuser und Wohnungen beschreiben, fehlte mir gestern die Muse.
Außerdem ward ich schon wieder abgelenkt, weil sich der Herr neben mir in nörgelndem Ton über das Hotel, in dem man ihn untergebracht hatte, beschwerte: Es sei zweifelslos das schönste Flughafenhotel, in dem er je auf dieser Welt gewohnt hätte. Jedoch… was habe seine Mitarbeiter geritten, ihn dort unterzubringen… und er beklagte, dass er abends nirgendwo hingehen könne, weil es dort nichts gäbe… das Hotel - es sei ab vom Schuss… und auf seine Frage, warum man ihn nicht in der Stadt untergebracht hätte, antwortete die Schöne neben ihm, da hätte das Team nicht mit im selben Hotel sein können, weil alles ausgebucht sei. Man hätte sich dann auf mehrere Hotels verteilen müssen…
Da antwortete ER sehr unwirsch: „What the hell….“
Und warum sie dann nicht gleich eine ganze Etage gemietet hätten… woraufhin sie einwarf, das sei nicht gegangen… es sei doch nichts mehr frei gewesen und er… „What?“
Und da schwieg sie und darauf er:
„Na und… dann hätte das eben 60.000 oder 100.000 Dollar gekostet!“ Aber er wäre in der Stadt gewesen… und nicht ab vom Schuss…
UND so ging das dann… fünfzehn Minuten lang… das Gemeckere über das HOTEL und seine ungünstige Lage...
während ich saß und die weiße Tinktur einwirkte… und ich konnte nicht flüchten… und musste mir das Genöle einer männlichen Diva mit anhören…
Und ich bewunderte die junge Frau, die mit einem Schlag ihre Groupie-Aura verloren und sich zwischenzeitlich als deutsche Mitarbeiterin des "Seminar"-Veranstalters entpuppte, die ihn während seines Stuttgarter Aufenthalts zu betüteln hatte… da sie permanent telefonierte, um seine „orders“ zu erfüllen – wohlwollend könnte man sagen „Wünsche“ - gehässig gesprochen „Befehle": ein weiteres Kännchen „herbal comforting tea“ für ihn… ein Taxi, das Beide anschließend zum weihnachtlichen Mittelaltermarkt nach Esslingen bringe… da er danach fragte, was es Besonderes zu sehen gäbe… woraufhin die Friseurmeisterin diesen Weihnachtsmarkt empfahl.
Derweil hatte die Mitarbeiterin des Amerikaners immer wieder „Orders“ an das „Office“ durch zu geben, die derweil die „Location“ herrichteten – den Veranstaltungsort, an dem er dann seine „Healings“ durchführte - zum Preis von fast 1400 Euro (für alle Tage!) oder -wenn man nur das Wochenende buchte- für 600 Euro oder für 35 Euro, wenn man nur den Freitagabend-Vortrag buchte.
Immer wieder begegneten sich unsere Blicke im Spiegel, wobei ich jedoch die Lesende mit Konzentration auf meine Hochglanzzeitung mimte…
Erst dann beim Hinausgehen schenkte ich dem Heiler aus dem transatlantischen Westen einen letzten, kurzen Blick – aber auch nicht mehr!
„Lässt der sich nun graue Strähnen in sein – gewiss nicht mehr echtes – schwarzes Haar färben?!“ - überlegte ich,
während ER mich erneut sehr direkt und unvermittelt aus dem Spiegel heraus mit seinem Blick förmlich durchbohrte.
Doch da trug ich dann wieder meine rotbraune Hornbrille und konnte mir den Herrn genauer besehen und einprägen, um hinterher zu googeln, WELCHER Guru denn da in der schwäbischen Provinz für den Augenblick einer Stunde den gemeinsamen Raum mit mir teilte?
Und siehe da…
es scheint tatsächlich ein Star der amerikanischen Gesundheits-Szene gewesen zu sein…
...UND ALTER EGON…
meinte dann… als ich ihm Stunden später bei einem Glas deutschen Hopfentees von dieser Begegnung erzählte und seine Katze mit selbigen magischen Blick zu hypnotisieren suchte, mit der mir der amerikanische Heiler beim Hinausgehen nachstarrte.
„Der hat Dich wohl mit seiner mystischen Heilkraft verzaubert, denn Du gehst heute viel aufrechter und gerader als sonst….“ - meinte Alter Egon. Tatsächlich?
Lag das wirklich an den „heilenden Händen“ des kalifornischen Chiropraktikers, wie er sich gugelnder Weise entpuppte? Deren Heilkraft, wie seine Patienten berichten, „sich verströmt, obwohl er sie gar nicht körperlich berührt“. Immerhin hätten diese ihm „wundersame Heilungen von Krebs, von Krankheiten in Verbindung mit Aids, Epilepsie, chronischem Müdigkeitssyndrom, rheumatoider Arthritis und Osteoarthritis, und anderen schweren Leiden“ vemeldet. All das sei geschehen, „wenn Eric seine Hände in ihre Nähe hielt - und es setzt sich bis heute fort“ - so liest es mir Alter Egon vor, der es sich nicht nehmen ließ, über meine Begegnung im Internet nach zu recherchieren, während wir dem gesunden Hopfentee frönten.
„Na… dann waren das aber mehr die Augen…. als die Hände…“ - erwiderte ich und konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, als ich noch sagte: „Oder die tägliche Gymnastik tut endlich ihre Wirkung!?“
In diesem Sinne:
Allseits - allen Leserinnen und Leser-Kommentator[:inn]en -
einen schönen Nikolaustag!
;-)
wünscht Ihnen/Euch
Teresa :-)
Teresa HzW - 6. Dez, 10:08 - Rubrik Wiederworte