Faust`sche Gedanken

"O glücklich, wer noch hoffen kann,
aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen!“

Faust Vers 1064

Er ging ins Krankenhaus mit einem Leistenbruch.
Ward operiert. Minimalinvasiv.
Unter Vollnarkose.
Zwei kleine Schnitte, links und rechts.
Ein dritter: oben.
Nach 20 Minuten war`s vollbracht.

„Ein Routine-Eingriff...“ wie man denkt.
„...ein Routine-Eingriff!“ wie die Ärzte sagen.
Nichts Auffälliges…. – hinterher.

Ihr war nicht wohl dabei.
Er hatte überlegt: „… oder doch mit Lokalanästhesie?“
Sie: „Wenn ich daran denke, dass er jetzt neben mir im Sessel sitzen könnte…“
Sie stockt. Beim Erzählen.

„Der Vorteil unserer Methode, nur zwei Schnitte, da ziehen wir das Netz durch“, so der Operateur, „in wenigen Tagen sind sie wieder fit und laufen herum, als sei nichts geschehen.“
„Und bei der Lokalanästhesie?“ – hatte er noch gefragt.
„Da bleiben sie länger im Krankenhaus und es dauert bis zu zwei Monate bis sie keine Schmerzen mehr haben, da die Operationsmethode eine andere ist“ – antwortete ihm der Operateur.

„Ein Routine-Eingriff!“
Daher entschloss er sich zur Vollnarkose.

Als er wieder richtig bei sich war, ward im schlecht.
Die ganze Zeit. Übelkeit!
Deshalb blieb er noch im Spital.
Nicht nur denselben Tag, an dem er operiert. Auch noch
den nächsten und übernächsten.

„Die Leber-Werte stimmen nicht!“ – meinten die Ärzte.
Er wollte raus. Wollte nach Hause.
Ihr war nicht wohl dabei.

„Ich wollte ihn nicht mitnehmen“ – erzählt sie mit schluchzender Stimme.
„Ich wollte, dass sie ihn dort behalten.“

Am fünften Tag, es war bereits Samstagnachmittag,
ward er doch entlassen.
Davor hatten sie ihn nochmals durchgecheckt: Alle Werte.
Er zeige keine Auffälligkeiten! Daher
habe sie ihn mitgenommen.
Bei der Entlassung habe man ihr den Bericht für den Hausarzt mitgegeben. Mit dem Hinweis:
Der möge die Leber-Werte kontrollieren und ihn weiter beobachten.

Er hatte weiterhin dieses Unwohlsein. Das ganze Wochenende. Und brachte nichts Essbares hinunter.

„Du musst endlich etwas essen“ – sagte sie zu ihm.
Am Montagmorgen.
Sie brachte ihm Zwieback und Kamillentee ans Bett.
Er wollte aufstehen, ihm ward übel und schwindelig.
Im Wohnzimmer ließ er sich in einen Sessel plumpsen.

Zuvor waren sie im Wohnungsflur etwas auf- und ab gegangen, denn er solle sich bewegen.
Den ärztlichen Rat gab man ihnen bei der Entlassung mit auf den Weg.

Jetzt saß er im Sessel und kam nicht mehr hoch.
Sie sprach mit ihm. Doch er gab ihr keine Antwort. Sie strich ihm über die Schulter.
Da kippte er zur Seite.
Bewusstlos.
Er rührte sich nicht mehr.

Sie rief den Notarzt.
Den Sanitätern gelang es, ihn wiederzubeleben.
Der Notarzt gab noch Spritzen.
Mit Blaulicht ging es ins Spital zurück.

Auf der Intensivstation erfuhr sie - nach langem Warten:
„Das Herz arbeitet wieder, alle lebensnotwendigen Organe funktionieren wieder.“
Mittlerweile war es Montagabend geworden.

Ob sie heimgehen solle oder ob sie hierbleiben könne – fragte sie.
Sie könne heimgehen, ihr Mann sei stabil, im Moment könne man nichts weiter tun. Nur abwarten.

Mit der Tochter fuhr sie nachhause. Erleichtert.
Hoffnungsfroh.
Die Tochter wollte schon heimfahren, da kam – keine halbe Stunde – dass sie zuhause waren – der Anruf aus dem Spital: „Nierenversagen!“

Als sie im Krankenhaus eintrafen, war er bereits tot!

Man ließ sie jedoch nicht zu ihm hinein.
Es herrschte Hektik.
Man bedeutete ihr und der Tochter, zu warten, geleitete sie in einen eigenen Warte-Bereich.


„Mir zog es den Boden unter den Füßen weg.“ - sagt sie.
"Alles war auf einmal so irreal."

"Was ist die Todesursache?" – fragte die Tochter.
Die Ärzte wussten keine Antwort.
Eine der Intensivschwestern erbarmte sich schließlich und sagte ihnen:
„Zuerst Nierenversagen. Dann Wasser in der Lunge.“
Mehr wisse sie nicht und dürfe sie auch nicht sagen, sie sollten sich den Bericht geben lassen.

Irgendwann fuhren sie, nachdem ein Arzt ihnen gesagt hatte, sie mögen am anderen Tag wieder kommen.
Dann wolle man mit ihnen reden, alles erklären.
Unter Schock fuhren sie heim: Mutter und Tochter.
Dachten beide: "Dann war es wohl das Herz..."

Den Dienstag verbrachte sie wie in Trance, informierte Familie und engste Freunde.
Ein jeder unter Schock!
Noch wenige Tage vor der „OP“ hatte man einen fröhlichen Abend, einen diskussionsfreudigen Nachmittag, miteinander gelacht, geschäkert…telefoniert, gesimst…
Und nun…!?
Irreal!

Am Mittwochmittag kam die Bestatterin, fragte nach der Todesursache:
Sie sagte: „Die kennen wir nicht. Es war wohl das Herz!?“
Die Bestatterin – sehr einfühlsam – hakte nach:
„Was steht denn auf dem Totenschein?“
Sie: „Welcher Todesschein? Einen solchen habe ich nicht!“
Die Bestatterin klärte sie behutsam auf: Auf dem Totenschein stehe die Todesursache, ohne den dürfe nicht bestattet werden! Die Bestatterin meinte, sie müsse sofort das Krematorium verständigen. Solange die Todesursache unklar sei, dürfe keine Verbrennung vorgenommen werden. Was ihr das Krankenhaus gesagt habe?

Sie: „Nichts.“
Sie wisse gar nichts? – fragt die Bestatterin.
„Nein“ – sagt sie.
Die Bestatterin blieb dann noch zwei Stunden bei ihr.

Tags darauf. Donnerstagmorgen.
Gegen neun Uhr klingelte es an der Haustüre.
Sie wunderte sich, wer wohl käme, denn die Tochter ward in diesen schweren Stunden die ganze Zeit bei ihr.
Als sie die Tür öffnete, stand ein Polizist vor ihr: „Kripo!“

Sie bat ihn herein. Ins Wohnzimmer.
Er ließ sie alle Vorgänge seit der Operation schildern.
Was sie tat.

Danach fährt sie zu den Freunden. Den besten Freunden.

Die Freundin tröstete, sprach ihr Mut zu, fasste sich ein ganzes Herz und regte an:
„Lass Enry pathologisch untersuchen!“
Sie: „Das hat mir die Bestatterin und der Kripobeamte auch schon geraten.“

„Ermitteln die nicht?“ – fragte die Freundin.
Sie: „Ich bin mir nicht sicher. Meine Tochter hat auch schon mit der Staatsanwaltschaft telefoniert. Doch dort wissen sie von nichts. Es gibt dort kein Aktenzeichen.“

Sie könne ihn auch auf eigene Kosten pathologisch untersuchen lassen… habe ihr die Bestatterin geraten.
„Aber ich weiß nicht….“ - schluchzt sie und meint mit Tränen erstickter Stimme:
„Enry wollte doch verbrannt werden… jetzt liegt er in den Kühlräumen… und seine Seele... ist gefangen!“

Das Gespräch, das folgt, ist schwer. Für sie.
Auch für die Freundin, deren Mann – der beste Freund des Verstorbenen ebenfalls die ganze Zeit weint.

Die Freundin reißt sich zusammen und spricht aus, was gesagt werden muss:
„Marie, Dein Enry hätte gewollt, dass aufgeklärt wird, was im Spital passiert ist. Was mit ihm dort geschehen ist!“

Marie schluchzt und nickt.
Sie ist nicht mehr fähig, etwas zu sagen.

Die Freundin: „ Auch wenn ihn das nicht mehr lebendig macht… aber vielleicht war die Todesursache ja eine ganz andere, als jene, die man Euch sagt… vielleicht wollen die im Spital etwas vertuschen? Es geht doch auch darum, Beweise zu sichern….“

Marie weint noch eine ganze Weile, dann fährt sie heim… sie müsse nachdenken… möchte alleine sein.

Tags darauf. Freitag. Sie ruft mittags an.
Die Kripo sei im Krematorium.
Die Staatsanwaltschaft habe sich eingeschaltet.
Vermutlich werde heute noch obduziert.
Sie fahre nun zur Tochter und bleibe da. Übers Wochenende.

Fortsetzung
Noch vor Weihnachten ward der Leichnam obduziert und frei gegeben, die Leiche eingeäschert wie es sich der Verstorbene schon zu Lebzeiten gewünscht:
Damit die Seele nachhause fliegen könne...
... in die Heimat seiner [Ur]Ahnen!

Das Ergebnis der Obduktion
...wird frühestens Ende Januar vorliegen...

Fortsetzung folgt
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