Für immer verstummt!
"Mein Leben ist langweilig, ich kenne es!“
Das hat er einmal einem Journalisten gesagt [und anderen vermutlich auch, die ihn in ähnlicher Weise befragten], ob des Ansinnens einer Autobiografie.
Dabei hätte gerade er, so viel zu erzählen gehabt. In kluger Dialektik. Stringentem Satzbau. Rhetorisch geschickt aufgebaut. Fragend. Ohne offensichtlich die Antworten zu geben. Erzählend. Ohne zu langweilen.
Provozierend. Um zum Nachdenken anzuregen.
Wer einmal in den Genuss einer Vorlesung bei ihm kam, weiß wovon ich schreibe. Denen klingelt sein Dreisatz über „die drei großen Pflichten der Rhetorik, des Redners“ in den Ohren:
1. Er muss überzeugen, nicht überreden.
2. Er muss unterhalten. Er muss amüsant, lustig, souverän, schlagfertig sein.
Und
3. Er hat die Herzen zu bewegen. Er muss anrührend sein.
Das gehöre beim großen, glaubwürdigen Redner immer alles zusammen.
Er selbst war das lebende Beispiel dafür. Viele Jahrzehnte lang.
Er, der Altphilologe, der große Gelehrte, den ich als einen der Letzten der alten Schule, in Erinnerung trage. Einer, der sich nicht im Elfenbeinturm literarischer Gelehrsamkeit, im universitären Turm von Wissenschaft und Forschung abschottete, als er 1965 den ersten Lehrstuhl der Republik für Rhetorik übernahm.
Sten Nadolny beschrieb ihn einmal sehr trefflich, als er sinngemäß formulierte: Einst sah man ihn, von seinen Einfällen wie von einem Wespenschwarm gejagt, durch Tübingen rennen und gestochen scharf formulieren.
Der schnarrende, bisweilen militärische Duktus, charakterisierte seine [Aus]Sprache.
Es mache ihm Spaß, „mit Verve und Elan zuzuschlagen, aber er stecke auch gern ein“ urteilte er über seine verbalen Wortgefechte mit anderen. Immerhin dürfte er zu den wenigen deutschen Gelehrten zählen, die in jungen Jahren, da war er 27 Jahre alt, mit einem Philosophen wie Albert Camus ins Gespräch kam: über Sisyphus. Auch Gespräche mit anderen intellektuellen Gesprächspartnern, wie etwa mit Ernst Bloch und Martin Heidegger, rechnete er zu den interessanten Begegnungen seines Lebens.
Noch bevor ich ihn als Rhetorikprofessor erleben durfte, hat er mir imponiert, denn bereits in der Waldheimat hörte ich von ihm, von dem streitbaren Demokraten, der sich an die Spitze derer stellte, die gegen den Nato-Doppelbeschluss und gegen Atomwaffen waren. Widerstand sah er als "demokratische Pflicht“!
Und ging als leuchtendes Beispiel voran: Entweder als er sich Mitte der 1980er demonstrierend vor ein Atomwaffendepot auf der Schwäbischen Alb setzte oder als er in seinem Tübinger Haus während des Golfkriegs zwei amerikanischen Deserteuren Asyl gewährte.
Mit Sicherheit speiste dieses politische Engagement auch seine Leidenschaft für das Wortgefecht.
Ich zähle ihn zu den größten Voraus-Denkern und Nach-Denkern unserer Republik!
Als Schriftsteller machte er nicht nur in seinen zahlreichen Essays von sich reden, sondern schrieb auch Bücher und sogar Theaterstücke. Zwei hervorragende Thomas-Mann-Bücher, die er gemeinsam mit seiner Frau Inge herausgab, zählen u.a. zum Werk des Literaturhistorikers. Thomas Mann bezeichnete er als "seinen Säulenheiligen“.
Zu weiteren Heiligen deutscher Literatur zählte er Gotthold Ephraim Lessing „der Aufklärer, von dem er am meisten gelernt habe“ und Theodor Fontane - „der unendlich liebenswerte, unterhaltliche, freundliche“.
Das erste Buch nach Schiller`s Lektüren waren bei ihm die Buddenbrooks und der Zauberberg. Seine erste literarische Rede hielt er 1943 in Freiburg – natürlich über: Thomas Mann.
Wie schwer, wie unfassbar es war, Mitte der Nuller Jahre vernehmen zu müssen, dass ihn, der sich sein Leben lang über Sprache definiert hatte, eine schwere Demenz heimgesucht hatte.
Jetzt ist er für immer verstummt: Walter Jens, Rhetorikprofessor, *1923, gestorben am gestrigen Sonntagabend in Tübingen.
Über die Stadt, die viele Jahrzehnte der Mittelpunkt seines Lebens war, sprach er, der gebürtige Hanseate aus Hamburg, einmal eine wundervolle Liebeserklärung aus: „In Tübingen ist der Geist, dort sind die Mahnen Hegels, Hölderlins, Schellings bis heute lebendig und der Gedanke, hier beerdigt zu werden, erschreckt uns nicht!“
Hier gibt es beim SWR weitere Infos – auch mit einigen O-Tönen von ihm.
Da ist beim BR bereits eine ältere Sendung, ein Gespräch mit seiner Frau Inge Jens, als Podcast hörbar.
Er ist es wert, noch einmal hinein zu hören.
Auch wenn dabei eine Träne ins Taschentuch kullert!
1557 mal gelesen
Das hat er einmal einem Journalisten gesagt [und anderen vermutlich auch, die ihn in ähnlicher Weise befragten], ob des Ansinnens einer Autobiografie.
Dabei hätte gerade er, so viel zu erzählen gehabt. In kluger Dialektik. Stringentem Satzbau. Rhetorisch geschickt aufgebaut. Fragend. Ohne offensichtlich die Antworten zu geben. Erzählend. Ohne zu langweilen.
Provozierend. Um zum Nachdenken anzuregen.
Wer einmal in den Genuss einer Vorlesung bei ihm kam, weiß wovon ich schreibe. Denen klingelt sein Dreisatz über „die drei großen Pflichten der Rhetorik, des Redners“ in den Ohren:
1. Er muss überzeugen, nicht überreden.
2. Er muss unterhalten. Er muss amüsant, lustig, souverän, schlagfertig sein.
Und
3. Er hat die Herzen zu bewegen. Er muss anrührend sein.
Das gehöre beim großen, glaubwürdigen Redner immer alles zusammen.
Er selbst war das lebende Beispiel dafür. Viele Jahrzehnte lang.
Er, der Altphilologe, der große Gelehrte, den ich als einen der Letzten der alten Schule, in Erinnerung trage. Einer, der sich nicht im Elfenbeinturm literarischer Gelehrsamkeit, im universitären Turm von Wissenschaft und Forschung abschottete, als er 1965 den ersten Lehrstuhl der Republik für Rhetorik übernahm.
Sten Nadolny beschrieb ihn einmal sehr trefflich, als er sinngemäß formulierte: Einst sah man ihn, von seinen Einfällen wie von einem Wespenschwarm gejagt, durch Tübingen rennen und gestochen scharf formulieren.
Der schnarrende, bisweilen militärische Duktus, charakterisierte seine [Aus]Sprache.
Es mache ihm Spaß, „mit Verve und Elan zuzuschlagen, aber er stecke auch gern ein“ urteilte er über seine verbalen Wortgefechte mit anderen. Immerhin dürfte er zu den wenigen deutschen Gelehrten zählen, die in jungen Jahren, da war er 27 Jahre alt, mit einem Philosophen wie Albert Camus ins Gespräch kam: über Sisyphus. Auch Gespräche mit anderen intellektuellen Gesprächspartnern, wie etwa mit Ernst Bloch und Martin Heidegger, rechnete er zu den interessanten Begegnungen seines Lebens.
Noch bevor ich ihn als Rhetorikprofessor erleben durfte, hat er mir imponiert, denn bereits in der Waldheimat hörte ich von ihm, von dem streitbaren Demokraten, der sich an die Spitze derer stellte, die gegen den Nato-Doppelbeschluss und gegen Atomwaffen waren. Widerstand sah er als "demokratische Pflicht“!
Und ging als leuchtendes Beispiel voran: Entweder als er sich Mitte der 1980er demonstrierend vor ein Atomwaffendepot auf der Schwäbischen Alb setzte oder als er in seinem Tübinger Haus während des Golfkriegs zwei amerikanischen Deserteuren Asyl gewährte.
Mit Sicherheit speiste dieses politische Engagement auch seine Leidenschaft für das Wortgefecht.
Ich zähle ihn zu den größten Voraus-Denkern und Nach-Denkern unserer Republik!
Als Schriftsteller machte er nicht nur in seinen zahlreichen Essays von sich reden, sondern schrieb auch Bücher und sogar Theaterstücke. Zwei hervorragende Thomas-Mann-Bücher, die er gemeinsam mit seiner Frau Inge herausgab, zählen u.a. zum Werk des Literaturhistorikers. Thomas Mann bezeichnete er als "seinen Säulenheiligen“.
Zu weiteren Heiligen deutscher Literatur zählte er Gotthold Ephraim Lessing „der Aufklärer, von dem er am meisten gelernt habe“ und Theodor Fontane - „der unendlich liebenswerte, unterhaltliche, freundliche“.
Das erste Buch nach Schiller`s Lektüren waren bei ihm die Buddenbrooks und der Zauberberg. Seine erste literarische Rede hielt er 1943 in Freiburg – natürlich über: Thomas Mann.
Wie schwer, wie unfassbar es war, Mitte der Nuller Jahre vernehmen zu müssen, dass ihn, der sich sein Leben lang über Sprache definiert hatte, eine schwere Demenz heimgesucht hatte.
Jetzt ist er für immer verstummt: Walter Jens, Rhetorikprofessor, *1923, gestorben am gestrigen Sonntagabend in Tübingen.
Über die Stadt, die viele Jahrzehnte der Mittelpunkt seines Lebens war, sprach er, der gebürtige Hanseate aus Hamburg, einmal eine wundervolle Liebeserklärung aus: „In Tübingen ist der Geist, dort sind die Mahnen Hegels, Hölderlins, Schellings bis heute lebendig und der Gedanke, hier beerdigt zu werden, erschreckt uns nicht!“
Hier gibt es beim SWR weitere Infos – auch mit einigen O-Tönen von ihm.
Da ist beim BR bereits eine ältere Sendung, ein Gespräch mit seiner Frau Inge Jens, als Podcast hörbar.
Er ist es wert, noch einmal hinein zu hören.
Auch wenn dabei eine Träne ins Taschentuch kullert!
Teresa HzW - 10. Jun, 19:46 - Rubrik Andern[w]Orts