Stefan Moster - Bachmann Bimbamtag 1

Der Hund von Saloniki

Ein schöner, ruhig erzählter Text, der für eine Generation, die der Babyboomer, der in den frühen 1960iger Jahren Geborenen stehen könnte. Ein Text, der eine unerhörte Begebenheit, ein brutales Ereignis der damaligen Interrail-Generation in der Rückblende erzählt.

Die beiden Männer trugen enorme, süßlich riechende Haare und waren auf dem Weg nach Griechenland wie wir, doch mochten sie nicht länger ein Jungpärchen in ihrer Sänfte beherbergen, weswegen sie uns nach Erklimmen des Passes kurzerhand auf die Straße setzten, bei strömendem Regen. So passierten wir zu Fuß die Grenze und sprachen unmittelbar hinterm Schlagbaum eine Fahrzeugbesatzung nach der anderen an, jede Menge Volk, dem wir uns zugehörig fühlten, mit dem üblichen Aufklebersortiment am Wagen, nein danke dies, ja bitte das, legalize it und Petting statt Pershing - Leute mit der richtigen Einstellung; wir staunten sehr darüber, dass sie uns ignorierten. Nach vier, fünf Stunden bekamen sogar die jugoslawischen Grenzer Mitleid und lächelten uns aufmunternd zu, bis lange nach Mitternacht die Insassen eines bunt bemalten Bundeswehrfahrzeugs Erbarmen hatten und uns bis Ljubljana mitnahmen, obgleich auch sie, die Angehörigen einer Wohngemeinschaft aus Ingelheim, sich auf dem Weg nach Griechenland befanden.

Unweigerlich denke auch ich an meine eigene erste [und einzige!] Interrail-Tour in jenen Jahren, die mich zwar nicht bis Griechenland, jedoch auf gleicher Strecke wie die des Protagonisten von Moster ins damalige Jugoslawien, das heutige…äh… ich glaube Kroatien, führte…. Auch bei uns regnete es damals in Lubljana [wie ich glaube, dass es da immer regnet]. Auch wir sahen:

Frauen in lila Latzhosen[und] beobachteten im Bahnhofscafé unseren [einen] Streit, sahen [eine Frau] Charlotte [könnte durchaus ihr Name gewesen sein] vom Tisch aufspringen und zur Toilette rennen, nachdem ich [ihr Lover ihr] nur einen Augenblick lang ihr Handgelenk etwas zu fest gedrückt hatte, folgten ihr, führten sie eine Viertelstunde später zu ihrem mit Aufklebern verzierten Kleinbus und retteten sie für immer aus m[s]einen Klauen.

Auch wir lasen den „Märchenprinz“ [wer hat den eigentlich nicht gelesen?] und fanden uns am Zielort in einer Welt wieder, „in der [uns] mehrere Sonnen schienen“. Dass „diese Sonnen“ der Realität am Zielort, nicht standhielten, stand damals auf einem anderen Blatt, genau wie hier im Text auch.

Kein Wunder, denn „Wie Luft und Strand und Häuser in der Ferne, so war auch das Meer durch und durch schimmernd delphingrau“.

Es könnte alles soooooo schöööööön romantisch….. soooo schöööööön heile Welt sein…. Und ein Stück weit war es das damals vor dreißig, vierzig Jahren auch, wenn nicht ein jeder von uns, wie der Held hier im Text, seine Lebenserfahrungen hätte machen müssen und ein Biss von einem Hund gehörte da für manch eine[n] dazu, wenn auch nicht so schmerzhaft wie bei des Autors Protagonisten.

Abschließend möchte ich noch auf einen wunderbar gebauten Dialog gegen Ende des Textes hinweisen, der beste aller, die ich heute hörte und las:
Sie verdrehte die Augen in der Art, die ihr das Alter vorschrieb, sagte „Hallo“ mit langem O und wedelte mit der Hand vor meinen Augen.
„Hast du oder hast du nicht?“
„Ich habe nicht.“
„Schade.“
„Aber ich habe Durst.“


Außerdem noch ein gut gemachter Cliffhanger zum krönenden Abschluß:
Da sie mit Schauen beschäftigt war, wagte ich es, sie zu mustern. Es blieb ihr nicht lange verborgen.
„Ist was?“
„Nun wirst du schon siebzehn“, sagte ich.
„Na und?“
„Ich möchte dir was erzählen.“


Die Jury diskutierte diesen Text intensiv, war sich jedoch einig, „ein ruhiger und intensiv vorgetragener Text!“ Beinahe wohltuend im Vergleich zu den Auftakttexten mancher Vorjahre, glaubte man im Dunkel des ORF-Sendesaals aus dem OFF unausgesprochen zu hören.
Winkels: Der Held ist hier wie einer der verlassenen [Albert]Camus-Helden in der mittelmeerischen Einsamkeit. Die Pointe sei, dass der Text, die Geschichte „so undramatisch“ ist. Er sieht in diesem Text „ein Plädoyer für das Erzählen“.
Keller: „Es darf gebellt werden und gejault“. Der Hund als Leitmotiv, um zwei Zeitebenen miteinander zu verbinden. Moster führe sehr gut vor, wie man von einer Zeitebene des Unbewußten in die des Bewußtseins zurückkommt.
Caduff gefiel der Satz „Er war ein Hund“. Sie sah darin einen „wunderbaren“ Satz.
Spinnen sieht im Text die Gleichzeitigkeit von Reflexion zusammen mit dem Erleb[t]en. Das sei das Bedeutsame an dieser Geschichte.
Feßmann ist alles zu sehr „bis ins Detail erzählt“ und das gefällt ihr nicht.
Jandl weist darauf hin, dass das Leitmotiv eines „Hundes“ für das „Kreatürliche“ und für den Menschen, der verkleidet in ihm steckt, steht. Der Hund werde auf das „Existenzialistischste“ hochgejubelt: Süden, sengende Sonne, der Held, über den geschrieben wird „er war einer, der hatte nichts.“ Das vielfach bebilderte Motiv des einsamen Helden. Für ihn der Text zum Sprichwort „Den Letzten beißen die Hunde!“

Für mich einfach ein schön erzählter Text voller nostalgischer eigener Erinnerungen!
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