Epikur - Abschied nehmen
Grundsätzlich sind der Weg des äußeren Glücks und der Weg des inneren Glücks Gegensätze. Sie folgen entgegengesetzten Lebensprinzipien.
Auf dem Weg des äußeren Glücks werden Anhaftungsstrukturen im Geist aufgebaut. Es entstehen Verspannungen und man wird innerlich unglücklich. Der Weg des äußeren Glücks bewirkt langfristig ein Wachstum ins innere Unglück. Man ist nie richtig innerlich zufrieden und versucht immer extremer den Weg des äußeren Glücks zu gehen. Bis man sein Scheitern erkennt.
Auf dem Weg des inneren Glücks löst man alle inneren Verspannungen auf. Man baut systematisch die Anhaftungstendenzen im Geist ab. Ist der Geist von seinen Ängsten (Anhaftung an Leidsituationen) und Süchten (Anhaftung an äußere Genüsse) befreit, entsteht innerer Frieden. Man gelangt in ein kosmisches Bewusstsein. Es entwickelt sich ein dauerhaftes inneres Glück. Man ist zufrieden mit sich und seinem Leben.***
Du und ich sprechen über das „Abschied nehmen“, über das „etwas zum Abschluß bringen“.
Jeder nimmt immer wieder Abschied von lieb gewordenen Dingen, angenehmen Gewohnheiten, Bequemlichkeiten. Ein besonders schweres Abschied nehmen ist das von lieb gewonnenen Menschen. Das fällt besonders schwer. Es trifft jeden. Mehr oder weniger. Irgendwann im Leben.
Wir haben heute Abschied von einander genommen: von einer Begegnung miteinander, die von vornherein nur auf eine bestimmte Dauer angelegt war - eine Arbeitssymbiose. Gern hätten wir sie noch eine Zeit lang gepflegt, miteinander genossen, da wir uns viele Dinge gegenseitig gegeben haben. Auch wenn der Beginn unserer Begegnung von Missverständnissen und vereinzelten Unstimmigkeiten geprägt war. Die galt es erst einmal auszuräumen, beiseite zu legen. Danach sich immer wieder des gegenseitigen Vertrauens der Zusammenarbeit zu vergewissern, sie zu bestätigen, um erneut weiter darauf [auf] zu bauen. Das ist nun vorbei. Zumindest im äußeren [Er]Leben miteinander.
Im Inneren wirst du [in meiner Erinnerung] weiter leben.
„In den letzten Monaten hast du viele neue Saatkeime gepflanzt, Keime, die nun aufgehen und mir zu leuchtenden Blumen, die den Weg weisen, erblühen. Dafür danke ich dir!“ – sage ich, als wir uns wie vereinbart heute Mittag treffen.
Jede von uns weiß, dass es auf Gottes Erde das letzte Mal sein wird.
In äußerlich gebeugter Haltung stehst du da, gestützt auf deinen Gehstock, den du erst seit kurzem hältst. Innerlich bist du jedoch ganz groß, über deine einen Meter sechzig hinaus gewachsen. Könntest – was deine innere Stärke betrifft – in der NBA im Team um Dirk Nowitzki mitspielen, bei den Dallas Mavericks. Du schmunzelst. Ich sage es nicht laut, ich denke es nur. Doch deinem Lächeln, das bei meinem Eintreten in deine Geschäftsräume über dein Gesicht huscht, entnehme ich dies.
„Alles Olympia! Das ganze Leben!“ sagst du.
„Ja“ – sage ich und nicke wie zur Bestätigung mit dem Kopf.
„Geh doch schon mal vor, ich komme gleich nach, ich muss nur noch kurz das Band abhören, da rief noch jemand an!“
Kahl ist es in deinem Büro. Aber nicht kalt. Die Wärme, die du stets ausgestrahlt, steckt noch in diesem quadratischen Raum. Sie strahlt mir auch heute an diesem sommerleichten Augustdienstag, der uns heiter bis wolkig mit angenehmen 23 Grad begleitet, entgegen. Deine sachlich-kühle Art, nie zu viel und nie zu wenig der Worte zu sagen, klingt nach in diesen vier Wänden, die so vieles in den Jahren deiner Berufstätigkeit erfahren haben: auf deinem abgeräumten Schreibtisch, auf dem kein einziges Staubkörnchen im Sonnenlicht glänzt, die nüchtern – sachliche Besprechungsecke, bestehend aus zwei Resopaltischchen, auf denen für jeden eine Karaffe Wasser und zwei Gläser stehen, daneben gerückt zwei bequeme, Cognac farbige Lederstühle und dein riesiger Bücherschrank, der sich über die dahinter liegende Wand, in drei Meter Höhe auf vier bis fünf Meter Länge erstreckt,ebenfalls leer gefegt.
Ich frage mich, während ich in den folgenden Minuten auf dich warte, wer wohl die Glücklichen sind, die du mit deinen Fachbüchern bedachtest.
„Alles bereit für die Nachfolgerin“, sagst du, während du umständlich die Türe hinter dir, mit dem Stock in der Hand schließt, zur Fensterfront hinüber humpelst, den elektrischen Rolladenheber betätigst und das Fenster schließt, aus dem der laute Verkehr der Theodor-Heuss-Straße herauf dringt. Etwas außer Atem nimmst du auf dem Ledersessel gegenüber Platz.
„Ja, alles ausgeräumt, alles bereit, Freunde haben geholfen, das leere Schränkchen da drüben, wird sich noch meine Tochter holen.“
Du könnest nun alles loslassen sagst du.
Du sagst das nicht einfach dahin, sondern ich spüre, dass du es auch so meinst.
„Noch vor vier Wochen hätte ich nicht geglaubt, dass ich meinen Beruf einfach loslassen kann. Er war immer ein großer Teil meiner Identität“, sagst du. „Jetzt bin ich direkt erleichtert, dass alles zum Abschluss kommt.“
Noch vor vier Wochen…
Ich schlucke, als du das sagst.
Vor vier Wochen hatten wir uns zuletzt gesehen.
Es war damals ein tropisch-feuchter Tag in Stuttgart. Einer der berühmten Tage, an denen sich in diesem Talkessel die Hitze staut und bereits morgens um zehn das Atmen schwer fällt und man lieber den Auszug zu dir in den vierten Stock nimmt. Erschrocken bin ich da, als ich dich sah, wie du kaum mehr geradeaus laufen konntest. Wie du von der Eingangstüre herüber getorkelt bist. Zunächst dachte ich, vielleicht der Kreislauf? Kein Wunder an diesem schwülen Tag. Doch dann entdeckte ich, dass du den linken Fuß hinter dir hergezogen hast und bei jedem Vorwärtsschritt leicht eingeknickt, nach rechts hinüber gewankt bist. Dein rechter Arm baumelte dabei unkoordiniert vor und zurück, so dass du ihn, als du in deinem Büroraum angekommen, mit der rechten Hand leicht vor dir an den Körper presstest.
Da wußte ich, ohne dass du noch ein Wort sagen brauchtest, dass es sehr schlecht um dich stand, dass die Krankheit die Oberhand gewonnen hatte. Damals kämpftest du zwar noch, warst optimistisch, meintest, du werdest zwar das Büro in der Stadt aufgeben, jedoch oben auf der Halbhöhenlage in der Wohnung weiterarbeiten wollen, mit der einen oder anderen und dabei lächeltest du mich an.
Mir wurde da mulmig zumute. Heute kann ich es sagen: „Ich glaubte nicht recht daran!“
Du hattest sogar schon nachgesehen, mit welcher Stadtbahn ich vom Hauptbahnhof aus, zu dir hoch käme.
„Es sind nur zehn Minuten Fahrt. An der Haltestelle S. steigst du aus und läufst höchstens fünf Minuten.“ - meintest du damals.
Dir war es bei unserem Termin damals wichtig, noch über ein gemeinsames Projekt zu sprechen. Mir einige "ganz wichtige Punkte", wie du meintest, dazu zu sagen. Eher widerwillig hörte ich dir zu. Mir erschien es wie das letzte Aufbäumen deines Geistes, deines klaren analytischen Verstandes gegen die Macht des Körpers, die dich zugleich ohnmächtig machte, dich im wahrsten Sinne des Wortes schach matt setzte. Doch du duldetest keinen Widerspruch von mir.
So hörte ich eben zu, machte mir Notizen, schrieb die Stichworte auf, die du gabst. Ich wußte, die werde ich nach zu recherchieren haben. Wie ich es immer gemacht hatte.
Besonders eindringlich warst du in unserer letzten geschäftlichen Besprechung. Eindrücklich und resolut wie ich Dich zuvor in all der Zeit selten erlebt hatte. Ich schwieg also und hörte nur zu, sog deine Worte wie einen Schwamm auf. Schon da hatte ich den Eindruck, es kommt etwas zum Abschluss.
Nach dreissig Minuten sah ich dir die Erschöpfung an, ich spürte, dass es nun besser wäre, einzuhalten, alles ausklingen zu lassen. Voller Elan machtest du noch einen weiteren Termin mit mir aus. Ende Juli sollte er sein. Dazu kam es dann nicht mehr. Vor zwei Wochen riefst du an und sagtest:
„Es geht nicht mehr. Ich muss mit dem Arbeiten aufhören!“
Allerdings wolltest du mich unbedingt noch einmal sehen, für „ein Abschluss-Gespräch“. Ja, genau so hast du es am Telefon formuliert. Ich wunderte mich noch, meinte, ich könnte doch mit deinem Kompagnon beim Projekt „x“ weiter zusammen arbeiten.
„Nein, der ist dafür nicht geeignet!“ – meintest du mit knapper, scharfer Stimme. Ein Ton, der die alte Vertrautheit wieder wach werden ließ. Doch du wollest überlegen, bis heute, wer denn in Frage käme.
Heute ist es das erste, was du klären willst. WER kann das weiter machen!?
„Eigentlich wäre es besser, Du hättest jemand bei Dir draußen, doch da habe ich keine Kontakte, kann Dir guten Gewissens niemand empfehlen“
„Und hier in Stuttgart, Du weißt, es ist kein Problem für mich, herein zu fahren, es geht mir um jemand der gut ist, mit dem ich eine ähnlich gute Zusammenarbeit führen könnte, vielleicht noch ein Jahr….“, schätze ich.
„Ja… da gebe es jemanden“, meinst Du.
„Eine jüngere Frau, etwa fünfzehn Jahre jünger wie ich, Mitte Vierzig, sehr sympathisch, voll sprühender Ideen, neuen kreativen Ansätzen!“ – überlegst du laut und wirst wieder so agil und sprühend wie in deinen besten Tagen. Die könne das gut übernehmen, die passe zu mir.
Danach lassen wir die gemeinsame Zeit noch einmal Revue passieren.
Ich sage, was ich an dir schätz[t]e, dass du mir viele neue Impulse gegeben hast, den Blick weitetest. Welche Stütze Du für mich warst, in jener Zeit, in der es mir einst nicht gut ging, ich malade darnieder lag und nicht wußte, ob ich meinen nächsten Geburtstag erleben würde. Damals warst du diejenige, die mich aufbaute. Mit simplen Sätzen, etwa wenn du einfach nur sagtest:
„Das kommt alles wieder von selbst zurück! Das braucht Zeit!“
Du meintest: „Du brauchst einfach noch mehr Mut. Mehr Mut! Du schaffst das!“
Heute habe ich dir gesagt, dass du recht gehabt hast, dass alles wieder käme. Gerade jetzt nach dem HWS-Bandscheibenvorfall hätte ich mir jeden Tag vor-gesagt: „Man darf sich von seinem Körper nicht beeindrucken lassen!“
Du hast gelächelt und gesagt: „Das habe ich gesagt?“
„Ja“, meinte ich.
Und wir lächelten beide – unser großes breites Frauen-Grinsen, von der linken bis zur rechten Backe, bis der Kiefer sich spannt.
„Was für ein kluger Satz“, meinst Du, rückst Deinen Block, der immer vor Dir liegt, zurecht und nimmst den Kugelschreiber in die gesunde, noch nicht gelähmte rechte Hand und notierst, während du nochmals laut wiederholst: „Man darf sich von seinem Körper nicht so beeindrucken lassen! Wie schön, liebe T., dass du mir den sagst, der ist nun für mich wichtig. Den werde ich nun verinnerlichen.“
Dies gibt mir die Kraft und den [von dir immer eingeforderten] Mut, dich zu fragen, was mir seit unserer letzten Zusammenkunft auf der Seele liegt:
„Darf ich dich fragen, wieviel Zeit dir noch bleibt?“
„Nur noch wenige Wochen, wenn überhaupt, vielleicht nicht einmal mehr!“ antwortest du. Und dann beginnst du, zu erzählen, dass du mit dir im Reinen wärst. Dass du glücklich bist, dass wir „dieses Abschlußgespräch führen können.“
„Danke für diese Stunde", sagst du einfach.
Ich nicke nur und frage nach, wie du deine dir verbleibende Zeit noch gestalten möchtest.
„Anfang September fahren wir alle sechs, die enge Familie, mein Mann, die Kinder und meine Mutter nochmals nach Meran, in jenes schöne Hotel, wo es mir immer so gut gefiel. Das wird unsere gemeinsame Familien-Abschiedswoche werden.“
Ich frage Dich, wie es den Kindern damit geht?
„Es wäre schön, ich könnte noch das Abschlussexamen der Tochter im November erleben! Das ist mein letzter großer Wunsch. Das noch erleben zu dürfen.“ Doch die Tochter werde ihren Weg auch ohne sie gehen. Sie habe all diese Kraft.
Ob sie auch selbstständig werden wolle?
Zunächst wierde sie im Januar eine Stelle antreten. Nach ein paar Jahren könne sie immer noch überlegen, was sie machen möchte. Du lächelst und ergänzt:
„Oder ob sie den Betrieb meines Mannes übernimmt.“ Der werde reduzieren. Ab Oktober. Du hoffst, das reiche noch. Der Sohn werde seinen Weg auf internationaler Ebene gehen, da machst du dir keine Sorgen.
„Ich bin zufrieden“, sagst Du und strahlst mich an, „die Kinder sind meine große Freude in diesen Wochen, ich weiß, dass sie stark genug sind, um ihren Weg im Leben zu gehen. Ich mache mir keine Sorgen um sie. Schön wäre es, wenn ich es noch erleben würde, wenn mein Sohn eine Partnerin findet. Das ist leider nicht mehr drin.“ Die Tochter wisse sie in guten Händen, sie habe einen liebevollen Partner gefunden.
Dann erzählts du mir, dass du dich in diesen Tagen viel mit Epikur beschäftigst, dass du deinen Frieden für dich gefunden hast und du deine erfüllung in diesen letzten Wochen deines Lebens im Lesen und der Beschäftigung mit der Philosophie und der Literatur findest.
„Ich hätte nie geglaubt, dass einem Literatur so viel geben kann“, meinst du.
Während du dies sagst, nimmst du deinen Stock und deutest ungeduldig in Richtung der rechten untersten Schreibtischschublade.
„Da… ich hab` da noch was für dich, zieh mal die unterste Schublade auf.“
Ich erhebe mich gehe zum Schreibtisch und ziehe vorsichtig die Lade auf. Ein Blatt Papier kommt zum Vorschein, darauf steht:
„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne….“
„Darunter, unter dem Blatt, aber das Gedicht ist auch für dich“ – weist du mich eifrig zurecht.
Ich hebe das Blatt hoch.
Darunter findet sich ein kleines Taschenbuch, mit gleichlautendem Titel und der Unterüberschrift:
„Die Lebensgeschichte von Hermann Hesse“.
„Das ist für dich“, meinst du und fügst hinzu:
„Schreibst du noch? Triffst du dich noch mit deiner Schriftstellergruppe? Das darfst du nicht aufgeben, hörst du!?“
Ich kann nicht antworten so gerührt bin ich, nehme das Buch zur Hand, drehe es in Händen hin und her, kämpfe mit den in mir ansteigenden Tränen, weil ich weiß, der Augenblick des Abschieds ist gekommen.
Ich nehme wortlos das Buch, gehe zurück zu meinem Stuhl, bücke mich, um eine leichte Jutetasche aufzuheben, die ich bisher seitlich hinter dem Stuhl versteckt hatte und sage:
„Ich habe auch etwas für dich…
Du hast mir mal in einer unserer Besprechungen verraten, dass du dunkle Schokolade magst….“
„Oh, ich liebe Schokolade“, rufst Du aus, „ich kann nicht genug davon kriegen, vor allem wenn es Zartbitter-Pralinés sind. Auch wenn ich wegen des Cortisons kaum noch etwas schmecke. Ach, dass du das noch weißt.“
Während du dies sagst, wirst du ganz lebendig in deinem Stuhl, hüpfst fast aufgeregt hin und her auf dieser kleinen Sitzfläche, als ich dir die kleine Packung handgefertigte Schokoköstlichkeit überreiche.
„Dann wünsche ich dir, dass du ein paar Minuten hast, wo du den Geschmack herbei spüren kannst, vielleicht mag dein Mann ja auch eine“, zwinkere ich dir zu.
Freudig erhebst du dich und meinst: „Ich werde es mir vorstellen, ich werde mir den Geschmack herbei imaginieren!“
Ich lächle und weil mir danach ist, frage ich dich:
„Darf ich dich umarmen?“
Du nickst.
Und dann stehen wir beide da und ich halte dich ganz lange in den Armen, während ich dann doch einige Tränen verdrücke und du mir mit deiner gesunden Hand über die linke Wange streichelst, ich dir alles Gute wünsche und zum Abschied sage, dass es mir leid tut, dass ich nun weine, und dann gestehe ich dir, dass ich einfach immer deine Stärke bewundert hätte: „Was für eine starke Frau du bist, M. Ich wünsche dir so sehr, dass dir noch die Zeit bleibt, die du dir für dich und die Familie wünscht.“
Du lächelst und nickst.
Da klingelt es an der Tür.
"Der Fahrdienst kommt, mit dem Rollstuhl.", meinst du.
Du lächelst wieder und ergänzt: „Seit heute! Mit dem werde ich nun eine Probefahrt unternehmen!“
Dann drücken wir uns nochmals und ich gehe, um dem Fahrdienst zu öffnen, während Du mir noch hinterher rufst: „Epikur!***"
2641 mal gelesen
Auf dem Weg des äußeren Glücks werden Anhaftungsstrukturen im Geist aufgebaut. Es entstehen Verspannungen und man wird innerlich unglücklich. Der Weg des äußeren Glücks bewirkt langfristig ein Wachstum ins innere Unglück. Man ist nie richtig innerlich zufrieden und versucht immer extremer den Weg des äußeren Glücks zu gehen. Bis man sein Scheitern erkennt.
Auf dem Weg des inneren Glücks löst man alle inneren Verspannungen auf. Man baut systematisch die Anhaftungstendenzen im Geist ab. Ist der Geist von seinen Ängsten (Anhaftung an Leidsituationen) und Süchten (Anhaftung an äußere Genüsse) befreit, entsteht innerer Frieden. Man gelangt in ein kosmisches Bewusstsein. Es entwickelt sich ein dauerhaftes inneres Glück. Man ist zufrieden mit sich und seinem Leben.***
Du und ich sprechen über das „Abschied nehmen“, über das „etwas zum Abschluß bringen“.
Jeder nimmt immer wieder Abschied von lieb gewordenen Dingen, angenehmen Gewohnheiten, Bequemlichkeiten. Ein besonders schweres Abschied nehmen ist das von lieb gewonnenen Menschen. Das fällt besonders schwer. Es trifft jeden. Mehr oder weniger. Irgendwann im Leben.
Wir haben heute Abschied von einander genommen: von einer Begegnung miteinander, die von vornherein nur auf eine bestimmte Dauer angelegt war - eine Arbeitssymbiose. Gern hätten wir sie noch eine Zeit lang gepflegt, miteinander genossen, da wir uns viele Dinge gegenseitig gegeben haben. Auch wenn der Beginn unserer Begegnung von Missverständnissen und vereinzelten Unstimmigkeiten geprägt war. Die galt es erst einmal auszuräumen, beiseite zu legen. Danach sich immer wieder des gegenseitigen Vertrauens der Zusammenarbeit zu vergewissern, sie zu bestätigen, um erneut weiter darauf [auf] zu bauen. Das ist nun vorbei. Zumindest im äußeren [Er]Leben miteinander.
Im Inneren wirst du [in meiner Erinnerung] weiter leben.
„In den letzten Monaten hast du viele neue Saatkeime gepflanzt, Keime, die nun aufgehen und mir zu leuchtenden Blumen, die den Weg weisen, erblühen. Dafür danke ich dir!“ – sage ich, als wir uns wie vereinbart heute Mittag treffen.
Jede von uns weiß, dass es auf Gottes Erde das letzte Mal sein wird.
In äußerlich gebeugter Haltung stehst du da, gestützt auf deinen Gehstock, den du erst seit kurzem hältst. Innerlich bist du jedoch ganz groß, über deine einen Meter sechzig hinaus gewachsen. Könntest – was deine innere Stärke betrifft – in der NBA im Team um Dirk Nowitzki mitspielen, bei den Dallas Mavericks. Du schmunzelst. Ich sage es nicht laut, ich denke es nur. Doch deinem Lächeln, das bei meinem Eintreten in deine Geschäftsräume über dein Gesicht huscht, entnehme ich dies.
„Alles Olympia! Das ganze Leben!“ sagst du.
„Ja“ – sage ich und nicke wie zur Bestätigung mit dem Kopf.
„Geh doch schon mal vor, ich komme gleich nach, ich muss nur noch kurz das Band abhören, da rief noch jemand an!“
Kahl ist es in deinem Büro. Aber nicht kalt. Die Wärme, die du stets ausgestrahlt, steckt noch in diesem quadratischen Raum. Sie strahlt mir auch heute an diesem sommerleichten Augustdienstag, der uns heiter bis wolkig mit angenehmen 23 Grad begleitet, entgegen. Deine sachlich-kühle Art, nie zu viel und nie zu wenig der Worte zu sagen, klingt nach in diesen vier Wänden, die so vieles in den Jahren deiner Berufstätigkeit erfahren haben: auf deinem abgeräumten Schreibtisch, auf dem kein einziges Staubkörnchen im Sonnenlicht glänzt, die nüchtern – sachliche Besprechungsecke, bestehend aus zwei Resopaltischchen, auf denen für jeden eine Karaffe Wasser und zwei Gläser stehen, daneben gerückt zwei bequeme, Cognac farbige Lederstühle und dein riesiger Bücherschrank, der sich über die dahinter liegende Wand, in drei Meter Höhe auf vier bis fünf Meter Länge erstreckt,ebenfalls leer gefegt.
Ich frage mich, während ich in den folgenden Minuten auf dich warte, wer wohl die Glücklichen sind, die du mit deinen Fachbüchern bedachtest.
„Alles bereit für die Nachfolgerin“, sagst du, während du umständlich die Türe hinter dir, mit dem Stock in der Hand schließt, zur Fensterfront hinüber humpelst, den elektrischen Rolladenheber betätigst und das Fenster schließt, aus dem der laute Verkehr der Theodor-Heuss-Straße herauf dringt. Etwas außer Atem nimmst du auf dem Ledersessel gegenüber Platz.
„Ja, alles ausgeräumt, alles bereit, Freunde haben geholfen, das leere Schränkchen da drüben, wird sich noch meine Tochter holen.“
Du könnest nun alles loslassen sagst du.
Du sagst das nicht einfach dahin, sondern ich spüre, dass du es auch so meinst.
„Noch vor vier Wochen hätte ich nicht geglaubt, dass ich meinen Beruf einfach loslassen kann. Er war immer ein großer Teil meiner Identität“, sagst du. „Jetzt bin ich direkt erleichtert, dass alles zum Abschluss kommt.“
Noch vor vier Wochen…
Ich schlucke, als du das sagst.
Vor vier Wochen hatten wir uns zuletzt gesehen.
Es war damals ein tropisch-feuchter Tag in Stuttgart. Einer der berühmten Tage, an denen sich in diesem Talkessel die Hitze staut und bereits morgens um zehn das Atmen schwer fällt und man lieber den Auszug zu dir in den vierten Stock nimmt. Erschrocken bin ich da, als ich dich sah, wie du kaum mehr geradeaus laufen konntest. Wie du von der Eingangstüre herüber getorkelt bist. Zunächst dachte ich, vielleicht der Kreislauf? Kein Wunder an diesem schwülen Tag. Doch dann entdeckte ich, dass du den linken Fuß hinter dir hergezogen hast und bei jedem Vorwärtsschritt leicht eingeknickt, nach rechts hinüber gewankt bist. Dein rechter Arm baumelte dabei unkoordiniert vor und zurück, so dass du ihn, als du in deinem Büroraum angekommen, mit der rechten Hand leicht vor dir an den Körper presstest.
Da wußte ich, ohne dass du noch ein Wort sagen brauchtest, dass es sehr schlecht um dich stand, dass die Krankheit die Oberhand gewonnen hatte. Damals kämpftest du zwar noch, warst optimistisch, meintest, du werdest zwar das Büro in der Stadt aufgeben, jedoch oben auf der Halbhöhenlage in der Wohnung weiterarbeiten wollen, mit der einen oder anderen und dabei lächeltest du mich an.
Mir wurde da mulmig zumute. Heute kann ich es sagen: „Ich glaubte nicht recht daran!“
Du hattest sogar schon nachgesehen, mit welcher Stadtbahn ich vom Hauptbahnhof aus, zu dir hoch käme.
„Es sind nur zehn Minuten Fahrt. An der Haltestelle S. steigst du aus und läufst höchstens fünf Minuten.“ - meintest du damals.
Dir war es bei unserem Termin damals wichtig, noch über ein gemeinsames Projekt zu sprechen. Mir einige "ganz wichtige Punkte", wie du meintest, dazu zu sagen. Eher widerwillig hörte ich dir zu. Mir erschien es wie das letzte Aufbäumen deines Geistes, deines klaren analytischen Verstandes gegen die Macht des Körpers, die dich zugleich ohnmächtig machte, dich im wahrsten Sinne des Wortes schach matt setzte. Doch du duldetest keinen Widerspruch von mir.
So hörte ich eben zu, machte mir Notizen, schrieb die Stichworte auf, die du gabst. Ich wußte, die werde ich nach zu recherchieren haben. Wie ich es immer gemacht hatte.
Besonders eindringlich warst du in unserer letzten geschäftlichen Besprechung. Eindrücklich und resolut wie ich Dich zuvor in all der Zeit selten erlebt hatte. Ich schwieg also und hörte nur zu, sog deine Worte wie einen Schwamm auf. Schon da hatte ich den Eindruck, es kommt etwas zum Abschluss.
Nach dreissig Minuten sah ich dir die Erschöpfung an, ich spürte, dass es nun besser wäre, einzuhalten, alles ausklingen zu lassen. Voller Elan machtest du noch einen weiteren Termin mit mir aus. Ende Juli sollte er sein. Dazu kam es dann nicht mehr. Vor zwei Wochen riefst du an und sagtest:
„Es geht nicht mehr. Ich muss mit dem Arbeiten aufhören!“
Allerdings wolltest du mich unbedingt noch einmal sehen, für „ein Abschluss-Gespräch“. Ja, genau so hast du es am Telefon formuliert. Ich wunderte mich noch, meinte, ich könnte doch mit deinem Kompagnon beim Projekt „x“ weiter zusammen arbeiten.
„Nein, der ist dafür nicht geeignet!“ – meintest du mit knapper, scharfer Stimme. Ein Ton, der die alte Vertrautheit wieder wach werden ließ. Doch du wollest überlegen, bis heute, wer denn in Frage käme.
Heute ist es das erste, was du klären willst. WER kann das weiter machen!?
„Eigentlich wäre es besser, Du hättest jemand bei Dir draußen, doch da habe ich keine Kontakte, kann Dir guten Gewissens niemand empfehlen“
„Und hier in Stuttgart, Du weißt, es ist kein Problem für mich, herein zu fahren, es geht mir um jemand der gut ist, mit dem ich eine ähnlich gute Zusammenarbeit führen könnte, vielleicht noch ein Jahr….“, schätze ich.
„Ja… da gebe es jemanden“, meinst Du.
„Eine jüngere Frau, etwa fünfzehn Jahre jünger wie ich, Mitte Vierzig, sehr sympathisch, voll sprühender Ideen, neuen kreativen Ansätzen!“ – überlegst du laut und wirst wieder so agil und sprühend wie in deinen besten Tagen. Die könne das gut übernehmen, die passe zu mir.
Danach lassen wir die gemeinsame Zeit noch einmal Revue passieren.
Ich sage, was ich an dir schätz[t]e, dass du mir viele neue Impulse gegeben hast, den Blick weitetest. Welche Stütze Du für mich warst, in jener Zeit, in der es mir einst nicht gut ging, ich malade darnieder lag und nicht wußte, ob ich meinen nächsten Geburtstag erleben würde. Damals warst du diejenige, die mich aufbaute. Mit simplen Sätzen, etwa wenn du einfach nur sagtest:
„Das kommt alles wieder von selbst zurück! Das braucht Zeit!“
Du meintest: „Du brauchst einfach noch mehr Mut. Mehr Mut! Du schaffst das!“
Heute habe ich dir gesagt, dass du recht gehabt hast, dass alles wieder käme. Gerade jetzt nach dem HWS-Bandscheibenvorfall hätte ich mir jeden Tag vor-gesagt: „Man darf sich von seinem Körper nicht beeindrucken lassen!“
Du hast gelächelt und gesagt: „Das habe ich gesagt?“
„Ja“, meinte ich.
Und wir lächelten beide – unser großes breites Frauen-Grinsen, von der linken bis zur rechten Backe, bis der Kiefer sich spannt.
„Was für ein kluger Satz“, meinst Du, rückst Deinen Block, der immer vor Dir liegt, zurecht und nimmst den Kugelschreiber in die gesunde, noch nicht gelähmte rechte Hand und notierst, während du nochmals laut wiederholst: „Man darf sich von seinem Körper nicht so beeindrucken lassen! Wie schön, liebe T., dass du mir den sagst, der ist nun für mich wichtig. Den werde ich nun verinnerlichen.“
Dies gibt mir die Kraft und den [von dir immer eingeforderten] Mut, dich zu fragen, was mir seit unserer letzten Zusammenkunft auf der Seele liegt:
„Darf ich dich fragen, wieviel Zeit dir noch bleibt?“
„Nur noch wenige Wochen, wenn überhaupt, vielleicht nicht einmal mehr!“ antwortest du. Und dann beginnst du, zu erzählen, dass du mit dir im Reinen wärst. Dass du glücklich bist, dass wir „dieses Abschlußgespräch führen können.“
„Danke für diese Stunde", sagst du einfach.
Ich nicke nur und frage nach, wie du deine dir verbleibende Zeit noch gestalten möchtest.
„Anfang September fahren wir alle sechs, die enge Familie, mein Mann, die Kinder und meine Mutter nochmals nach Meran, in jenes schöne Hotel, wo es mir immer so gut gefiel. Das wird unsere gemeinsame Familien-Abschiedswoche werden.“
Ich frage Dich, wie es den Kindern damit geht?
„Es wäre schön, ich könnte noch das Abschlussexamen der Tochter im November erleben! Das ist mein letzter großer Wunsch. Das noch erleben zu dürfen.“ Doch die Tochter werde ihren Weg auch ohne sie gehen. Sie habe all diese Kraft.
Ob sie auch selbstständig werden wolle?
Zunächst wierde sie im Januar eine Stelle antreten. Nach ein paar Jahren könne sie immer noch überlegen, was sie machen möchte. Du lächelst und ergänzt:
„Oder ob sie den Betrieb meines Mannes übernimmt.“ Der werde reduzieren. Ab Oktober. Du hoffst, das reiche noch. Der Sohn werde seinen Weg auf internationaler Ebene gehen, da machst du dir keine Sorgen.
„Ich bin zufrieden“, sagst Du und strahlst mich an, „die Kinder sind meine große Freude in diesen Wochen, ich weiß, dass sie stark genug sind, um ihren Weg im Leben zu gehen. Ich mache mir keine Sorgen um sie. Schön wäre es, wenn ich es noch erleben würde, wenn mein Sohn eine Partnerin findet. Das ist leider nicht mehr drin.“ Die Tochter wisse sie in guten Händen, sie habe einen liebevollen Partner gefunden.
Dann erzählts du mir, dass du dich in diesen Tagen viel mit Epikur beschäftigst, dass du deinen Frieden für dich gefunden hast und du deine erfüllung in diesen letzten Wochen deines Lebens im Lesen und der Beschäftigung mit der Philosophie und der Literatur findest.
„Ich hätte nie geglaubt, dass einem Literatur so viel geben kann“, meinst du.
Während du dies sagst, nimmst du deinen Stock und deutest ungeduldig in Richtung der rechten untersten Schreibtischschublade.
„Da… ich hab` da noch was für dich, zieh mal die unterste Schublade auf.“
Ich erhebe mich gehe zum Schreibtisch und ziehe vorsichtig die Lade auf. Ein Blatt Papier kommt zum Vorschein, darauf steht:
„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne….“
„Darunter, unter dem Blatt, aber das Gedicht ist auch für dich“ – weist du mich eifrig zurecht.
Ich hebe das Blatt hoch.
Darunter findet sich ein kleines Taschenbuch, mit gleichlautendem Titel und der Unterüberschrift:
„Die Lebensgeschichte von Hermann Hesse“.
„Das ist für dich“, meinst du und fügst hinzu:
„Schreibst du noch? Triffst du dich noch mit deiner Schriftstellergruppe? Das darfst du nicht aufgeben, hörst du!?“
Ich kann nicht antworten so gerührt bin ich, nehme das Buch zur Hand, drehe es in Händen hin und her, kämpfe mit den in mir ansteigenden Tränen, weil ich weiß, der Augenblick des Abschieds ist gekommen.
Ich nehme wortlos das Buch, gehe zurück zu meinem Stuhl, bücke mich, um eine leichte Jutetasche aufzuheben, die ich bisher seitlich hinter dem Stuhl versteckt hatte und sage:
„Ich habe auch etwas für dich…
Du hast mir mal in einer unserer Besprechungen verraten, dass du dunkle Schokolade magst….“
„Oh, ich liebe Schokolade“, rufst Du aus, „ich kann nicht genug davon kriegen, vor allem wenn es Zartbitter-Pralinés sind. Auch wenn ich wegen des Cortisons kaum noch etwas schmecke. Ach, dass du das noch weißt.“
Während du dies sagst, wirst du ganz lebendig in deinem Stuhl, hüpfst fast aufgeregt hin und her auf dieser kleinen Sitzfläche, als ich dir die kleine Packung handgefertigte Schokoköstlichkeit überreiche.
„Dann wünsche ich dir, dass du ein paar Minuten hast, wo du den Geschmack herbei spüren kannst, vielleicht mag dein Mann ja auch eine“, zwinkere ich dir zu.
Freudig erhebst du dich und meinst: „Ich werde es mir vorstellen, ich werde mir den Geschmack herbei imaginieren!“
Ich lächle und weil mir danach ist, frage ich dich:
„Darf ich dich umarmen?“
Du nickst.
Und dann stehen wir beide da und ich halte dich ganz lange in den Armen, während ich dann doch einige Tränen verdrücke und du mir mit deiner gesunden Hand über die linke Wange streichelst, ich dir alles Gute wünsche und zum Abschied sage, dass es mir leid tut, dass ich nun weine, und dann gestehe ich dir, dass ich einfach immer deine Stärke bewundert hätte: „Was für eine starke Frau du bist, M. Ich wünsche dir so sehr, dass dir noch die Zeit bleibt, die du dir für dich und die Familie wünscht.“
Du lächelst und nickst.
Da klingelt es an der Tür.
"Der Fahrdienst kommt, mit dem Rollstuhl.", meinst du.
Du lächelst wieder und ergänzt: „Seit heute! Mit dem werde ich nun eine Probefahrt unternehmen!“
Dann drücken wir uns nochmals und ich gehe, um dem Fahrdienst zu öffnen, während Du mir noch hinterher rufst: „Epikur!***"
Teresa HzW - 7. Aug, 19:20 - Rubrik Andern[w]Orts
Vor-Nach
Es ist unglaublich, wie "genderunspezifisch" er geschrieben ist. Ich hatte die ganze Zeit den Eindruck, es ginge um einen Mann. (Bis auf die eine klärende Zeile) Und selbst danach war ich wieder überzeugt, dass es sich um einen Mann handeln müsste. Ich hatte sogar eine bestimmte Vorstellung, wie er aussehen würde.
"Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten."
Epikur sagt mir heute auch schon etwas mehr zu als Hesse. Warum? Diesen Hesse habe ich schon mit 20 Jahren verstanden, wirklich verstanden. Da kann ich heute nur mehr bestätigen. Nicht dass er deswegen weniger wert würde. Bei Goethe findet sich "Stirb und werde" in noch verkürzterer Fassung.
-
Aber das bringt mich zu einer Frage oder auch Empfehlung: ist "Das Einde ist mein Anfang" von Tiziano Terzani bekannt? Wenigstens in der Filmfassung mit Bruno Ganz? Wahrscheinlich kann das nur eine rhetorische Frage sein. Doch mittlerweile denke ich, dass es Glück bedeutet, vor dem Tod keine Angst mehr zu empfinden.
Lieber Steppenhund,
Dies brachte mich auf den Gedanken, ob wir vielleicht, wenn das Leben sich dem Ende neigt, "geschlechtsneutral" werden. Ich will damit sagen, dass es vielleicht in den letzten Wochen vor dem Tod, keine Rolle mehr spielt, welches Geschlecht man in diesem Leben hatte, weil einfach anderes in den Vordergrund rückt:
Was man gegeben,
die Spuren, die man hinterlässt,
das, was in anderen von einem weiterleben wird,
und weil in einem selbst, der Geist oder besser das "Geistige", die "Seele" [oder was immer wir dafür halten] ins Zentrum des Seins rückt.
Jedenfalls eine wunderschöne Inspiration von Ihnen, die mich nun gewiss bis ans Ende meiner Tage [die hoffentlich noch lange auf sich warten lassen] begleiten wird.
In der [noch] aktuellen Spiegelausgabe [mit dem Hesse-Titelbild] hat Matthias Matussek ein sehr interessantes Porträt von unserem heimischen Weltliteraten gezeichnet. Darin schreibt er - sinngemäß [weil mir der Artikel - den ich beim Arzt gelesen - nicht vorliegt, sonst könnte ich zitieren], dass Hesse entweder "verehrt oder verachtet" wird und dass jene, die ihn "verehren", entweder zur jungen Generation [bis Mitte Zwanzig] oder zur Rentnergenation gehören; diejenigen, die jedoch dazwischen und mitten im Arbeitsleben stehend, würden ihn weniger bis gar nicht lesen und verstehen.
Das Buch von Alois Prinz, das mir die Geschäftspartnerin zum Abschied schenkte, zeigt mir jedenfalls Facetten von Hermann Hesse auf, die ich so noch gar nicht kannte, bzw. mir nicht mehr im Bewußtsein waren, obwohl ich natürlich auch schon vor Ort in Calw gewesen bzw. mir die "traumatischen" Orte seiner Jugendzeit örtlich [und Mentalitätsmäßig] bekannt: wie Maulbronn, Bad Boll oder Stetten im Remstal...
Das Zitat von Tiziano Terzani kenne ich, den Film allerdings nicht, kann mir jedoch sehr gut vorstellen, dass Bruno Ganz hier wieder einmal brilliert.
Ich glaube, dass jede[r], der einmal selbst dem Tod ins Auge blickte und noch einmal mit dem "blauen" davon kam, keine Angst mehr davor hat...
vielen lieben Dank für Ihre ebenfalls sehr einfühlsamen Zeilen, lieber Steppenhund,
sehr herzlich Sie "drückend" grüßend
Ihre Teresa