Glory... Glory...

Liebe Leserinnen und liebe Leser-Kommentator-inn-en,
dieser Tage durfte ich einer historischen Stunde beiwohnen!

Anders lässt es sich nicht bezeichnen, wenn sich die Crème de la Crème der Deutschen Theaterwelt in der schwäbischen Provinz ein Stell-Dich-Ein gibt. All das aus einem kleinen Anlass heraus: Der Ausstellungseröffnung eines "Vorlasses“. So wird der Vorgang bezeichnet, wenn ein Schriftsteller, ein Dichter, ein Künstler oder ein Wissenschaftler, sein Vermächtnis bereits zu Lebzeiten einem Archiv übergibt wie Tankred Dorst und Ursula Ehler es handhabten.

Vor gut einem Jahr ließen sich die beiden in München über die Schulter schauen, als Mitarbeiter des deutschen Literaturarchivs Marbach das umfangreiche Archiv dieser einzigartigen Schreibgemeinschaft abholten. Zum Archiv-Schatz des Schriftstellerhaushalts gehören [Theatergängern wohl bekannt] "Herr Paul“ oder "Merlin – oder das wüste Land“ wie auch die Materialien zum [Spielfilm] "Eisenhans“ und viele andere Kisten und Kartons voller Material. Seit 40 Jahren entstehen Tankred Dorsts Theaterstücke, der zu den meistgespielten deutschsprachigen Gegenwartsautoren im In- und Ausland gehört und 2012 für sein Lebenswerk mit dem deutschen Theaterpreis ausgezeichnet worden ist, im Dialog mit seiner Frau und Co-Autorin Ursula Ehler.

„Du sagst ja immer, wir sind ein Gespräch“ – lautet denn auch der Titel des Vorlasses, der im Rahmen einer Fluxus-Ausstellung im Marbacher Literaturmuseum nun [bis 2. Juni 2013] zu besichtigen ist.
Ein Zitat, das die Arbeitsbeziehung der beiden treffend beschreibt. Denn allein in den fünfzig Theaterstücken, die die beiden neben neunzehn Filmen, zusammen entwickelten, geht es immer um den Dialog zwischen Menschen, den [oftmals] dramatischen Dialog.
Eine Kostprobe davon lieferten sie jenen Zuhörern, Literatur- und Theaterliebhabern, die am Montagabend nach Marbach [am Neckar] kamen. Im Rampenlicht der Marbacher Literatur-Bühne, die sonst Lesungen vorbehalten ist, kreuzten ihre Wege sich mit drei anderen Persönlichkeiten, die Theatergeschichte schrieben: Kulturkritiker Peter von Becker, Regisseur und Intendant Peter Stoltzenberg sowie der Schweizer Regisseur und derzeitige Intendant der Stuttgarter Oper Jossi Wieler. Die fünf Protagonisten entwickelten ein spannendes Gespräch über die große Zeit des Theaters nach 1960, seine Gegenwart und Zukunft.

Nachfolgend gebe ich, jene Passagen sinngemäß(!) wieder, die sich mir nachhaltig einprägten. Ausgangspunkt ist dabei jeweils ein Satz, eine Bemerkung oder eine in den Raum gestellte Schreib[hypo]these, meist vom Moderator Peter von Becker auf die Diskussionsbühne geworfen.

"Sprache ist nicht körperlich“
– anders gesagt: Kann Sprache ohne Körperlichkeit sein?
Jossi Wieler meinte, Sprache ist nicht körperlich. Sie wird erst durch den Schauspieler zu Körper, denn: Es ist der Schauspieler, der sich die Sprache aneignet, sie sich zu eigen macht, sie ausdrückt. Erst durch die Schauspielerei käme es zur Körperlichkeit von Sprache.
Ein provokante Aussage, dachte ich mir, und hätte am liebsten widersprochen, da [mir] Sprache immer körperlich ist, auch wenn sie nur auf dem Blatt geschrieben steht.
Diese Sicht führte dann sehr schön Ursula Ehler aus:
Auch wenn ein Text geschrieben steht, sei er "körperlich“. Selbst wenn er nicht gefällt, denn das Lesen des Textes löst etwas aus. Selbst wenn man sich über den Text ärgert: „Was ist denn Wut anderes als Körperlichkeit?“ fragte sie. Wenn sich jemand über eine Textzeile ärgere, rufe das Körperlichkeit hervor, daher ist [für sie] Sprache immer Körper.

Wann wird Sprache zu Theater?
Tankred Dorst fasste dies unter dem Begriff "Assoziation“ zusammen: Ein Text löse beim Publikum Assoziationen aus. Erst durch die Assoziationen [be]im Publikum wird ein Text, wird Sprache zu Theater.
Peter Stoltzenberg: Schreiben - auch fürs Theater - ist immer Geschichten erzählen. Auch beim Theater. Ein Erzählen von Geschichten ohne Geschichte sei nicht möglich, da sich Geschichten stets vor dem Hintergrund von [historischer, erfahrener] Geschichte schreiben. In diesem Kontext stehe Tankred Dorst: Er sei „ein unvergleichlicher Autor“, einen, „den es so nicht mehr gibt. Einer der Geschichten auf der Basis von Geschichte schreibt!“ [Was für ein wunderbarer Satz, denke ich mir... noch immer!]

Schauspielerei und Sprache
Peter Stoltzenberg: Wenn er auf die 52 Jahre seines Theaterwirkens zurück blicke, dann stelle er fest, dass seit einigen Jahren, die Sprache zunehmend „verkommt“, ja „zerstört“ wird. Wenn Sprache verkommt/zerstört/zersetzt wird, zerstört/zersetzt/verkommt auch das Sein [des Menschen].
Wie recht er hat, denke ich mir und werde nachdenklich: Sind es nicht die technischen Errungenschaften wie Twitter, die zunehmend zur Verrohung und Zerstörung unserer Sprache führen? – hätte ich am liebsten in die Diskussion eingeworfen. Ein Spindoktor würde mir jetzt wohl entgegnen: Twitter führe nicht zur Verrohung, sondern lediglich zur Verdichtung von Sprache!

Was hat das Schreiben eines Theaterstücks mit der Kunst des Dichtens gemeinsam?
Peter von Becker: Gern wird gesagt, dass eines Dichters erste Zeile im Schlaf entsteht oder ihm in einem Tagtraum erscheint, weil der erste Satz eines Verses oft unvermittelt da ist. Wie ist das mit dem Schreiben eines Theaterstückes?
Ursula Ehler: Man könne sich nicht hinsetzen und sagen, ich schreibe jetzt ein Theaterstück. Es ist der Stoff, der sich den Weg zu einem bahnt… oft über Jahre.
Tankred Dorst: Das Schreiben eines Theaterstücks sei ein längerer Prozess. Sein Kern-Lebens-Satz: Es ist der Stoff, der sich seinen Autor sucht. Viele Stoffe, an denen er schrieb, hätten sich erst im Laufe der Zeit zu Theaterstücken entwickelt.
Eine wunderbare Anekdote dazu liefern beide in Bezug auf „Merlin – oder das wüste Land“ – Ehler meinte: Sie habe beinahe dieses Stück, [das Dorst weltweit berühmt machte] verhindert. Die Auseinandersetzung mit diesem Stoff [ich vermute, auch miteinander über oder wegen dieses Stoffes, zumindest klang das augenzwinkernd an jenem Abend durch] sei schließlich in einer Rundwanderung um den Starnberger See gegipfelt [Chapeau! – dachte ich mir… eingedenk der Ausmaße dieses beliebten Oberbayernsees]. Das Ergebnis kennen wir alle: Der Zauberer Merlin tritt in diesem Stück als Sohn des Teufels auf, hamletisch zerrissen und in Konkurrenz zum Gottessohn. Er macht sich Gedanken um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Er inszeniert blutige Schlachten um König Artus und seine Ritter der Tafelrunde, dabei dirigiert er gleich noch Parzival und seine Gralssuche. Ein komplexes Theaterstück auf der Grundlage der Artus-Sage mit der ewigen Frage nach dem Glauben und der Suche nach Sinn und Glück, gepaart mit der Chronologie des Wirkens verrückter Egomanen von der Steinzeit bis zur Gegenwart.

„Ein unvergleichlicher Autor“
Eine unvergleichliche Autorenschaft, dachte ich mir, denn so wirkten die beiden, Ursula Ehler und Tankred Dorst, da miteinander an jenem Abend auf der Bühne auf mich: als vollendete Symbiose schriftstellerischen, kreativen Schaffens, bei denen Leben und Arbeiten Hand in Hand ineinander übergehen, vom einem zur anderen, miteinander den Prozess des Schaffens, Produzierens unterstützend, tragend.

Was wäre er ohne sie und umgekehrt, denke ich mir...
„Deine Gefährtin, Partnerin, Muse, Liebe…“ sagte denn auch einer der Theatermacher.
Und Dorst selbst meinte - erst mit einem liebevollen Lächeln zu seiner Partnerin, dann ins Publikum: , „eine, die die richtigen Fragen stellt!"
Fragen, durch deren unermüdliche Beantwortung sich das gemeinschaftliche Autor[en]-Subjekt erörtert, objektiviert und in die Welt tritt. Und… den [dramatischen] Dialog eröffnet.
Ursula Ehler: „naja, Du sagst ja immer, wir sind ein Gespräch…“
Tankred Dorst: „…ja, wir sind ein Gespräch, so ist unser Leben!“

Einfach wunderbar! Die Beiden!
Es gäbe noch viel über jenen Abend zu erzählen und wenn, Sie, liebe Leser-innen-Kommentator-innen, nun betrübt sind, dass Sie nicht dabei waren, es gibt ein Marbacher Magazin, Nr. 141, mit dem gleichlautenden Titel „du sagst ja immer, wir sind ein Gespräch“, in dem Sie auf 83 Seiten in Worten und Bildern dieser Vorlassbesichtigung nachgehen können!
Oder Sie machen sich im Frühjahr einmal auf den Weg dahin... [dann sind auch noch andere Ausstellungen dort zu sehen]
;-)
1756 mal gelesen
Robert (Gast) - 22. Feb, 13:33

Der literarische Hügel, der den Gral deutscher Dramen hütet (Die Räuber, Kabale und Liebe) als letzte Aufbewahrungsstätte für zeitgenössische Dramatiker. Das passt.
Es reizt mich aus einem Gedicht des größten Dramatikers zu zitieren.

Aus Ideal und Leben

Nicht vom Kampf die Glieder zu entstricken,
Den Erschöpften zu erquicken,
Wehet hier des Sieges duft'ger Kranz.
Mächtig, selbst wenn eure Sehnen ruhten,
Reißt das Leben euch in seine Fluten,
Euch die Zeit in ihren Wirbeltanz.
Aber sinkt des Mutes kühner Flügel
Bei der Schranken peinlichem Gefühl,
Dann erblicket von der Schönheit Hügel
Freudig das erflogne Ziel.

Teresa HzW - 23. Feb, 17:22

Der Gral deutscher Dramen...

Ihre Worte drücken es aus, lieber Robert, welches Erbe deutschsprachiger Literatur sich da zwischenzeitlich [ver]sammelt.
Ich wünschte mir, es gäbe noch mehr Theaterschreiber, die dort mit ihren Werken Eingang fänden.
tinius - 24. Feb, 00:47

Als jahrelanger Nutzer von twitter mag ich der These widersprechen, der Dienst vernichte Sprache und Sprachkompetenz. Ein Medium - wie es twitter nun einmal ist - scheint mir dafür nur sehr bedingt "geeignet". Es kommt auf den Nutzer an, wie er dieser Instrument nutzt und bespielt, es hängt davon ab, in welcher Gruppierung man sich dort bewegt - vom Kürzelwahn bis hin zur Poesie oder dem Manierismus findet sich alles. Der Niedergang der Sprache ist allenfalls gesamtgesellschaftlich zu fassen, begründet. In einer Zeit, in der "Simplicissimus" von Grimmelshausen vom Deutschen ins Deutsche übersetzt wird, in der Political Correctness Kinderbücher revidiert, in der sich - naturgemäß - neuere Literatur auch den neuen Sprachgepflogenheiten in der Kommunikation annähern muß - geht etliches an Vokabular, Sinnhaltigem verloren. Manchmal tut das weh, bitter weh. Aber Sprache lebt, sie verändert sich, es werden zeitgemäßere Begrifflichkeiten gefunden, Prägnanteres, oder es wird einfach etwas aus anderen, derzeit modischeren Zusammenhängen entlehnt. Man darf darüber in einem gemäßigten Rahmen trauern, betrübt sein, ich darf es mit meinem halben Jahrhundert hinter mir, aber - so man in der Lage dazu ist - möge man die Sprache eben mitgestalten. Wiewohl ich in diesem Kommentar manch nicht so geläufiges Wort gebrauchte, glaube ich dennoch nicht, man verstehe mich nicht.

Teresa HzW - 25. Feb, 09:28

@you_all

@Tinius
f2f - Bibee
Akla!
RTHX

Oder so… dass es auch alle anderen verstehen ;-)

Lieber Tinius, Ihr Feedback empfinde ich nicht als Widerspruch [im Sinne eines Widerwortes ;-)], sondern als Bereicherung! In einem möchte ich Ihnen sogar ausdrücklich zustimmen: Sprache muss sich weiter entwickeln! Ich denke, kein Mensch unserer Zeit „gedenkt heute ein solch` Geshpräch zu führen, wie ehdem Schiller" und seine Zeitgenossen. ;-)

Dennoch gibt es Formen [und das sind diese Sprachcodes in Form von Sprachkürzeln wie oben], die mich nachdenklich stimmen… allerdings und das ist es, was ich in meinem obigen Widerworte zum Ausdruck bringen wollte [und Stoltzenberg indirekt gemeint haben mag]: Es sind gerade auch die Umstände des Lebens und der Zeit, in die wir hinein geboren sind, die sich heute in extremen Formen in der Sprache widerspiegeln.
Insofern – und das ist nun meine ur-eigene Interpretation, auch aus Beobachtung und Erleben [in naher und ferner öffentlicher Umgebung - wie zB S-Bahn], die Hektik der Zeit, die hohe Taktzahl dessen, was täglich in einen Tag hinein zu packen ist, wirkt sich mMn natürlich auf die Sprache aus; da mag ein Dienst wie Twitter zwar hilfreich sein, wenn es gilt, eine Familie mit zwei Kindern und Job [etwa] zu koordinieren. Für Kinder ist der Umgang mit diesen sprachverkürzten Codes [vielleicht könnte man bei dem o.g. Sprachcode schon von einer eigenen Sprachform reden] ohnehin selbstverständlich. Ganz zu schweigen von der Importsprache Englisch, die sich in viele Lebensbereiche einge-denglisch-t hat.

Andererseits erklärt sich aus diesen "Codes" oder [wie ich es gerne bezeichne] aus dieser „Verdichtung“ von Sprache das Dilemma, dass immer mehr Menschen komplexe Textzusammenhänge nicht mehr verstehen. Und das halte ich für bedenklich!

Daher ist es gut, dass es nicht nur Vereine, sondern auch Menschen gibt, die das von Zeit zu Zeit anprangern, anmerken, darauf aufmerksam machen. Sei es in öffentlichen Veranstaltungen [wie oben] oder wie etwa auch Walter Krämer, der Vorsitzende des Vereins Deutscher Sprache(VDS), der anlässlich des Internationalen Tags der Muttersprachen (21.2.) meinte: „Lange nicht mehr war das Interesse an Sprachthemen so groß wie in den vergangenen Wochen. Dies zeigt auch, dass den Menschen in Deutschland die Zukunft ihrer Sprache wichtig ist“
und weiter:
„Wir diskutieren viel über politisch korrekte Sprache und über das Ersetzen von Wörtern in Kinderbüchern. Aber die Mehrheit der Sprachgemeinschaft wünscht sich auch, dass im Einzelhandel, in den Medien und auf Plakaten weniger Imponierenglisch verwendet wird. Um dieses Sprachthema sollten wir uns als nächstes kümmern“, so Krämer.

Ganz herzlichen Dank daher, lieber Tinius, für Ihren Kommentar, der zu einer Vertiefung eines wichtigen Aspekts jener obigen Veranstaltung führt, die es sonst so nicht gegeben hätte [diese thematische Vertiefung].

Herzlich
Teresa :-)

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