Bachmann Holz für Philip Schönthaler!?

Ein Lied in allen Dingen

Ein Text wie ein langer ruhiger Fluss, dem die Katastrophe auf die Stirn geschrieben steht. Wenn man den Schlussakkord, den diese Geschichte setzt, wie der Großteil der Juroren als Katastrophe oder tragischen Unfall begreift.

Ich lese den Text anders!
Das metallische Klicken, das der Erzähler, der Dolmetscher des Musikers, im Ohr hört, lese ich als technischen Defekt. Als Technikpanne, die es in einer solchen durchorganisierten Welt der Profi-Musikmaschinerie eigentlich nicht geben darf. Schließlich darf es den technischen Tonausfall während eines Konzerts in einer Halle wie der SAP-Arena in Mannheim, die 15.000 Zuschauer fasst, nicht geben. Das ist für sich allein genommen ein Gau. Und dann passt auch meine Interpretation dieses Textes.

Er schildert in einer Präzision die Welt des Musikbusiness wie ich sie noch nirgendwo gelesen habe. Auch Mannheim, die Hochburg der süddeutschen Musikwirtschaft, in der die Popstars von morgen ausgebildet werden, passt zum Setting der Geschichte: Zum Auftakt und Ende der Deutschlandtournee eines Starmusikers.

Allerdings frage ich mich, während der Autor liest, wozu und wohin dieser sehr erzählerische Text eigentlich führt? Eine Frage, die auch einige Juroren aufwerfen.
Feßmann sieht ihn als „Künstlernovelle der postmodernen Art“: „Der Flötist Metnev, der dem Geigenrebell David Garrett nachgebildet ist.“
Für Strigl wiederum zeigt die Novelle einen Mann, „der zwischen Kunst und Business zu verschwinden droht“.
Und Winkels erkennt in dem Titel des Texts den intertextuellen Bezug zum berühmten Eichendorff Gedicht: "Schläft ein Lied in allen Dingen“, welches „die schönste Zusammenfassung der Romantik in einem Satz ist“.

Damit bringt Winkels diesen Text einer Welt nahe, die ich von Anfang an aufblitzen sah. Ein Bild, das sich in mir verfestigt, je länger der Autor liest, und umso leidenschaftlicher die Juroren danach über den Text streiten. Sein Autor bringt uns damit auch eine Welt nahe, eine Kulturpraxis, die in der Globalisierung fast verloren gegangen ist. Der Umgang mit einem analogen Instrument, das noch nicht per Computer beherrschbar ist wie ein Synthesizer.

Daher ist für mich die Frage, wohin uns dieser Text führt ganz klar: Zu einer Liebeserklärung an ein Musikinstrument - an eine Querflöte. Eine Liebe, der man nur noch im Verborgenen, an einem stillen Ort nachgehen kann, auch wenn das dann das stille Örtchen in einem deutschen ICE ist.
Dahin flieht der Starflötist Metnev mit seinem Instrument – vor den Fragen der Journalisten und einem viel zu üppigen Essen.
Dort ist er ungestört. Mit ihr. Ist mit sich und seiner Liebe allein. Schützt sie vor Verletzung, als der ICE abrupt bremst: „Metnev wird mit der blitzschnell zur Seite gedrehten Schulter gegen die Armaturen gedrückt, seine Flöte hält er fest, das Fahrwerk rattert, quietscht, vom Flur erschallen Flüche, dann steht der Zug mit einem letzten Ruck still. Metnev lauscht hinaus, das Milchglas verwehrt jede Sicht. Er betupft sein Gesicht mit Wasser und nimmt das Spiel wieder auf, ohne sich von der Durchsage des Lokführers, der die Passagiere informiert, dass eine Signalstörung vorliege und die Weiterfahrt sich auf unbestimmte Zeit verzögere, stören zu lassen. Auch als es kurzzeitig finster wird, das Deckenlicht flackert, dann vollständig ausfällt und es periodisch an die Türe klopft – einmal ist es seine Assistentin, die seinen Namen ruft – lässt Metnev sich nicht irritieren." Er nutzt den Zwischenfall um in Ruhe zu spielen.

Für den Flötisten wird dieser Ort zu einem Liebesnest. Nur dort kann er sich seiner leidenschaftlichen Liebe hingeben. Ein Ort, der die ganze Tragik, die mit in diesem Text steckt, zeigt.
Ein Ort als Zufluchtsort, dessen unaussprechliches Tabu einen Musikstar vor den Hyänen des modernen Musikbusiness schützt: der Marketingmaschinerie und ihren Auswüchsen; einer überall präsenten Öffentlichkeit aus Fans und Massenmedien, die einen zwingt, automatisch zu lächeln, wenn ein i-phone oder ein kleiner Fotoapparat klickt; die einen kluge Sätze wie aus dem Textautomaten aufsagen lässt, die der Fachjournalist in sein Tablet tippt.
Eine durch organisierte Welt zwischen Terminkalender und ständigem Funktionieren müssen. Eine Welt, die keinen Deut besser ist als jene hinter den verspiegelten Glasflächen der Hochfinanz.

Auch wenn Paul Jandl der Text gar nicht schmeckt, für mich ist es ein ganz großer Text, der wie andere Texte an diesem Tag auch, zwischen den Zeilen eine politische Botschaft versteckt: Die Grausamkeit der ökonomischen Welt, der sich nicht einmal mehr Kunst und Musik entziehen können.

Ein Text, dessen poetische Kraft in der Genauigkeit des Erzählens liegt. In der Stille, die der abrupte Schluss zurücklässt. Eine Stille, die übrigens auch die Jury erfasste, die eine ganze Weile brauchte, bis sie sich gefasst und eine, etwas zu sagen imstande war.

Philip Schönthaler, Jahrgang 1976, ein gebürtiger Stuttgarter, der dem Ländle treu blieb und in Konstanz lebt, der Autor wurde von Hubert Winkels nach Klagenfurt eingeladen.


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